Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft
Leistung und Erschöpfung
Für manche Kritiker handelt es sich bei Burnout um eine Zeit- und Modekrankheit, um eine moderne Erfindung gar. Genau das Schillernde macht Burnout zu einem lohnenden Ziel für eine gesellschaftstheoretische Analyse, meinen die Soziologinnen Sighard Neckel und Greta Wagner. Sie haben einen Band mit Beiträgen zu Burnout aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zusammengestellt.
8. April 2017, 21:58
Vielleicht sind Soziologen im Inneren ihrer Herzen eigentlich nur verkappte Ärzte, Ärztinnen oder Psychologen, Psychologinnen, denn sie lieben Diagnosen. Doch während die Menschenheiler den Einzelnen sezieren, liegen bei den Soziologen gewissermaßen ganze Gruppen oder gar die Gesellschaft insgesamt auf dem Untersuchungstisch.
Ein soziologisches Buch über "Burnout", wie es Sighard Neckel und Greta Wagner vorgelegt haben, wird sich daher nicht auf das individuelle Leiden konzentrieren, sondern aufs gesellschaftliche Phänomen. Welche soziale Funktion erfüllt Burnout als Krankheit und als exorbitant häufig von den Medien aufgegriffenes Thema, fragt das Buch. Was heißt es, wenn eine Gesellschaft sich als "ausgebrannt" begreift oder Erschöpfung als eine wesentliche Bedrohung wahrnimmt?
Modekrankheit oder mehr?
Ganz neu - das zeigt ein historischer Beitrag im Buch - ist das Phänomen nicht. Burnout erinnert in seiner unklaren und vagen Definition an die "Neuasthenie", jene Nervenschwäche, die Ende des 19. Jahrhunderts gerne diagnostiziert wurde oder an die Diagnose "Managerkrankheit", die in den 1950er Jahren einen kurzen Boom erlebte, bevor sie so schnell wieder verschwand, wie sie entstanden war.
Doch das Phänomen, von dem wir heute sprechen, spiegelt offenbar etwas bislang in dieser Qualität nicht Dagewesenes. Engagiere dich mit Haut und Haar!, heißt eine Forderung der Arbeitswelt heute. Günter Voss und Cornelia Weiss bezeichnen in ihrem Aufsatz Burnout als eine "Leiterkrankung des subjektivierten Kapitalismus":
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Ganz egal, ob nun Betriebe Arbeits- und Beschäftigungsstrukturen flexibilisieren und von den Beschäftigten mehr "Selbstorganisation" fordern, ob der Sozialstaat auf eine "Aktivierung" der Bürger abhebt oder ob Konsumenten zu "arbeitenden Kunden" werden: Immer geht es darum, dass Menschen ihre Arbeits- und Lebensbedingungen aktiver in die Hand nehmen müssen. Um das leisten zu können, sind sie gezwungen, ihr gesamtes persönliches Potenzial wesentlich umfassender als bisher zu mobilisieren. (...) Es geht also nicht länger um die Nutzung begrenzter menschlicher Fähigkeiten für begrenzte Zwecke unter begrenzten Bedingungen, sondern um den Zugriff auf die gesamte lebendige Subjektivität und die tendenziell totale gesellschaftliche Funktionalisierung von Menschen und ihren Eigenschaften.
Die "Arbeitskraftunternehmer"
Arbeit verschleißt den Menschen schon immer, und jede historische Zeit hat ihre spezifischen Arbeitserkrankungen. Das Perfide jetzt ist aber, dass wir selber mitmachen bei der Unterdrückung. Sich Engagieren macht ja Spaß und gibt das Gefühl der Erfüllung. Daher werden wir ganz freiwillig zu unseren eigenen Sklaventreibern. Weil wir die Arbeit gerne als "subjektiv" und als die ganze Person fordernd erleben, entgrenzt sie sich ins Private.
Was früher für selbständige Unternehmer oder Künstler galt, trifft jetzt auch für viele Angestellte oder freie Mitarbeiter zu: Sie werden zur kompletten Ich-AG, zum "Arbeitskraftunternehmer", wie Günter Voss das nennt. Alles an der eigenen Person ist ja beruflich nutzbar. Es ist das eigene Ich, aus dem man Kapital schlagen kann und das man trotzdem in der Arbeit voll entfalten will. "Selbstverwirklichung und Selbstüberforderung" liegen hier allerdings nah beieinander, und nicht selten - das zeigt der Beitrag von Elin Thunman im Band - enthält die Rede von der Selbstverwirklichung auch einen Selbstbetrug:
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Nehmen wir zum Beispiel den 24-jährigen Thomas, der in einem Fast-Food-Restaurant für einfache Tätigkeiten zuständig war. Er beteuert, der hektische Alltag in dem Lokal habe seinem Naturell entsprochen. Dass es immer etwas zu tun gab, sei gut gewesen, weil er dann nicht ruhelos war. Eine (...) ebenfalls verbreitete Art der Selbstpräsentation besteht darin, sich als jemanden zu beschreiben, der Herausforderungen braucht, um sich als Person zu entwickeln, und der daraus auch die Motivation zieht, alles zu tun, was von ihm verlangt wird. (...) Kurz: Die Befragten präsentierten sich zwar als authentisch, taten dies aber auf eine Weise, die genau den Anforderungen entspricht, die der Arbeitsmarkt in Sachen Flexibilität stellt. Sie verwirklichen sich also im Rahmen standardisierter Muster der Selbstverwirklichung.
Es ist eben nicht die "freie Selbstverwirklichung", die im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse gefordert ist, sondern eine "Standard-Selbstverwirklichung", diejenige, die ins Konzept passt.
Die Burnout-Metaphern
Burnout entsteht oft aus dem Missverhältnis, dass eine Person sich komplett engagiert, die Arbeitgeber aber natürlich nicht wirklich an der Person selbst interessiert sind, sondern daran, den Mehrwert des persönlichen Engagements abzuschöpfen, ohne wirklich Anerkennung zu gewähren oder Sinnangebote zu schaffen.
Das abgebrannte Streichholz, die leere Batterie, das Hamsterrad sind gängige Bilder, mit denen Burnout gerne symbolisiert wird. Was sagen diese Bilder eigentlich aus? Einige der Autoren im Buch untersuchen die Funktion und den tieferen Aussagewert der Burnout-Metaphern. Während manche negativ fatalistisch sind, wie das abgebrannte Streichholz, haben andere einen eher doppelten Boden, meint der Sozialpsychologe Rolf Haubl:
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Begriffe wie "brennen" oder intensiver: "entflammen" und "Feuer fangen" versinnbildlichen einen leidenschaftlichen Arbeitseifer, der positiv bewertet wird. Infolgedessen erscheint Ausbrennen als Folge sozial erwünschten Handelns, was den Zustand zwar nicht wünschenswert macht, aber doch einer negativen Bewertung vorbaut. Wer zuvor entbrannt gewesen ist, hat Anspruch auf Wertschätzung. Damit enthält das metaphorische Erklärungsmuster eine latente Moralisierung, die denen mit Entwertung droht, die ausbrennen, ohne zuvor entbrannt gewesen zu sein.
Die Metaphern transportieren also ein moralisches Programm - Burnout klingt besser als Depression. Manche Metaphern dramatisieren, andere verharmlosen. Das Bild vom Burnout als "leerem Akku" gibt vor, dass man einfach nur richtig Strom aufladen müsste, um wieder wie vorher funktionieren zu können.
Von der Ökonomisierung der Arbeitskraft
Die aus der Ökologie entlehnte Rede vom "besseren Einsatz der eigenen Ressourcen" legt nahe, dass man mit entsprechender Technik eventuell die eigene Energieeffizienz noch steigern könnte. Oft bleiben die für Burnout benutzten Bilder, aber auch die Vorschläge der Ratgeber, in einer fatalen Selbstverantwortungs- und Selbstverwertungslogik gefangen, kritisieren die Autoren. So schreibt Ulrich Bröckling:
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Gegen die Zumutung radikal vermarktlichter Arbeitsverhältnisse soll ausgerechnet konsequente Ökonomisierung des Verhältnisses zu sich selbst helfen. (...) Am Ende weiß man nicht, was man mehr fürchten soll, die Zeitkrankheit (Burnout) oder die Vorschläge zu ihrer Therapie.
Interessant ist, dass Burnout-Konzepte oft auf Denkmodelle und Metaphern zurückgreifen, die man aus dem Umweltschutz und der Ökologie kennt. Es sind eben nicht nur die Ressourcen der Umwelt zu schonen, sondern auch die eigenen. Vielleicht - so meinen Greta Wagner und Sighard Neckel in ihrem abschließenden Beitrag - steckt darin nicht nur eine Ideologie der Selbstverantwortung, sondern auch etwas Neues, ein innovatives Potential. Der ausgebrannte, erschöpfte Mensch ist vielleicht ein Pionier auf dem Weg in die "bevorstehende Ankunft eines Nachhaltigkeitskapitalismus", vermuten die Herausgeber.
Mehr Theorie als Fallgeschichten
Der Band "Leistung und Erschöpfung" fächert auf gut lesbare Weise die verschiedenen relevanten Aspekte auf: Er untersucht Burnout als gesellschaftliche Pathologie, als ambivalente Diagnose, als ideologieanfällige Metapher, als innovative Kraft, die sich kritisch gegen das System wenden ließe.
Das Buch zeigt aber auch, dass die Soziologie manchmal gerne einige Zentimeter über dem Dreck des alltäglichen Leidens schwebt. Man redet hier über die Rede vom Burnout. Bewusst bleiben die Beiträge auf einem theoretisch-abstrakten Niveau, und nur wenige bringen konkrete Fallgeschichten. Ein paar mehr empirische Beispiele hätte man sich bei Lesen gewünscht, einfach um nicht zu vergessen, wie viel Schmerz und wie viel alltägliche Absurdität hinter der Formel vom sich selbst erschöpfenden "Arbeitskraftunternehmer" stecken.
Service
Sighard Neckel und Greta Wagner (Hg.), "Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft", Suhrkamp