Öffentlich und privat
Kunst & Erotik in der Antike
Ob in der Werbung oder in der Kunst, ob im Fernsehen oder im Internet: Sex, Erotik und Pornographie scheinen allgegenwärtig. Doch diese omnipräsente Nacktheit scheint nichts wirklich Neues. Bereits in der Antike, bei den Griechen und Römern, spielte die Sexualität eine wichtige, öffentliche Rolle.
8. April 2017, 21:58
Männer als das "schöne Geschlecht"
Die Beiträge der alten Griechen zur abendländischen Kultur sind zahlreich: Dazu gehören etwa die Politik, die Philosophie oder das Theater. Erotische Belange zählen eigentlich nicht dazu. Dabei stehen uns die antiken Gesellschaften in punkto Nacktheit in der öffentlichen Sphäre um nichts nach. Nur, die Protagonisten sind mittlerweile andere. Während heute die Frauen gemeinhin als das "schöne Geschlecht" bezeichnet werden, waren das vor mehr als 2.500 Jahren ausschließlich die Männer.
Die Kunsthistorikerin Carmen Sánchez hat der Auseinandersetzung mit körperlicher Lust und entblätterten Körpern in der Kunst der Antike knapp 150 Seiten gewidmet. Anhand zahlreicher Darstellungen, historischer Beispiele und Zitate erläutert sie die verblüffend tabufreie Inszenierung der menschlichen Sexualität auf Vasen, Trinkschalen, Schmuckstücken oder im öffentlichen Raum.
Gesellschafts- und privater Sex
Dem zugrunde liegt das antike Verständnis, dass es zwei Arten von Sexualität gibt. Während Venus oder auch Aphrodite eine Naturgewalt darstellt, die Schirmherrin der Fortpflanzung, ist ihr Sohn Eros für Begehren, Sehnsucht und Leidenschaft zuständig, als Pate des "Gesellschaftssex".
Zitat
Die Griechen unterscheiden also zwei Arten der Sexualität, nämlich die zu Fortpflanzungs- und die zu Vergnügungszwecken. Erstere, der eheliche Geschlechtsverkehr, eine "Pflichtübung", vollzog sich innerhalb der häuslichen Mauern des heimischen oíkos; er war eine Bürgerpflicht, die der Stadt die Bevölkerung sichern sollte, und zugleich ein Anspruch der rechtmäßigen Ehefrau, der sogar durch entsprechende Gesetze (...) geregelt ist: Der Ehemann schuldet seiner Frau monatlich dreimalig sexuellen Kontakt. Daneben gibt es die sexuelle Aktivität zum Vergnügen. Sie findet niemals innerhalb des eigenen Hauses statt und wird durch Hetären, Prostituierte, Sklaven, Jünglinge oder Konkubinen abgedeckt.
Die Kunst der Antike interessiert sich ausschließlich für die Freuden der außerehelichen Sexualität. Man versucht gewissermaßen eine "öffentliche" oder "gesellschaftliche" Erotik abzubilden, die griechische Polysexualität. Ein Mann kann eine oder mehrere Frauen lieben bzw. einen Knaben oder auch mehrere.
Grenzen und Tabus
Carmen Sánchez hat es sich zu Aufgabe gemacht, die Bilder und Ästhetik der erotischen Kunst der Antike zu erforschen und die Grenzen und Tabus dieser scheinbar ungehemmten sexuellen Praxis aufzuzeigen.
Zitat
Wir sehen uns dabei mit einer doppelten Schwierigkeit konfrontiert: Zum einen haben wir es als Betrachter mit Bildern zu tun, die unserer eigenen Art zu denken sehr fern sind, die uns aber durch ihre vermeintliche kulturelle Nähe und bildliche Ähnlichkeit täuschen, während uns in Wirklichkeit mehr als zweitausend Jahre und ein christliches Dogma voneinander trennen. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, den inneren Sinn dieser erotischen Kunst und die Notwendigkeit ihres bildlichen Denkens zu ergründen.
Die Bedeutung des Erotischen in der Antike scheint komplexer, als auf den ersten Blick sichtbar. Klar ist, die Frau nahm in der Sphäre der öffentlichen Sexualität eine untergeordnete Rolle ein. Für die Griechen war es schöner, einen Knaben zu lieben als eine Frau. Der Phallus als Glücksbringer oder Schutzamulett war sowohl bei Griechen wie Römern weit verbreitet. Darstellungen lesbischer Liebe finden sich jenseits der Dichtung so gut wie keine.
Männlich und nackt
Einen hohen Stellenwert genießt dagegen der nackte männliche Körper - sofern er wohlgeformt ist -, ein Privileg, das den freien, gesellschaftlich hoch gestellten Männern vorbehalten war. Sie mussten nicht arbeiten und hatten Zeit für Sport. Sie trainierten nackt - auf Griechisch "gymnos", in der sogenannten Palaístra. Das männliche Schönheitsideal unterlag klaren Regeln - zumindest in der Abbildung.
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Brust und Rücken sind breit, Beine und Gesäßmuskeln stark. Die auf minimale Größe reduzierten Genitalien sind immer gleich gestaltet: ein kurzer, dünner Penis mit langer Vorhaut und einem ausgeprägten Skrotum - das Bild eines kindlichen Geschlechts.
Der übergroße Penis ist dem antiken Schönheitsempfinden fremd. Nur monströse Wesen wie Satyrn, Zentauren oder Barbaren werden in der Kunst damit bestückt.
Passive Frauen
Frauen werden nur selten nackt dargestellt, oft nur von hinten oder unbeteiligt während des Geschlechtsverkehrs. Ihre Brüste oder ihre Scham sind meist verborgen. In manchen Darstellungen ist ihr Körper denen des männlichen Schönheitsideals angeglichen, mit breiten Schultern und muskulösen Oberkörpern.
Die gesellschaftliche Rolle der Frau wird auch in den erotischen Darstellungen auf Vasen oder anderen Gefäßen offensichtlich: sie ist passiv, während der Mann aktiv ist. Sie hütet das Haus, während sich der Mann im öffentlichen Raum entfaltet - sei es in der Politik oder in der Sexualität. Dementsprechend finden sich auch gewalttätige Darstellungen in der Kunst der Antike.
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Um eine Frau zu zähmen und ihre Unterwerfung zu erreichen, ist es manchmal nützlich, Gewalt anzuwenden. Die Abbildungen auf griechischen Keramiken zeigen häufig Entführungs-, Gewalt- und sogar Vergewaltigungsszenen. (...) Diese Szenen und die Mythen, in denen die Götter eingreifen, indem sie Frauen verfolgen, betrügen und entführen, setzen die Idee der sexuellen Nötigung als gesellschaftlich akzeptierte Domestizierung voraus, ritualisiert durch die Ehe, in der die Frau eine männliche Macht anerkennen muss, an deren Wahl sie nicht beteiligt ist, und so vom wilden Zustand der Jungfräulichkeit in den gezähmten als Ehefrau und Mutter übergeht.
Carmen Sánchez hat ein spannendes Buch über das Verhältnis von Kunst und Erotik in der Antike verfasst. Leser, die sich für Kunst, Geschichte oder Sexualität interessieren, kommen bei der Lektüre der 14 kurzen Kapitel bestimmt auf ihre Kosten. Vieles an der männlich dominierten Sexualität der Römer und Griechen ist aus heutiger Sicht verstörend, einige Darstellungen bringen den Betrachter nach wie vor zum Schmunzeln. So resümiert die Autorin, dass die Menschen der Antike ihre "ars erotica" oft mit einem Augenzwinkern präsentierten. Sie hatten begriffen, dass der Humor wie auch die Erotik exklusive Produkte des menschlichen Verstandes sind.
Service
Carmen Sánchez, "Kunst & Erotik in der Antike", aus dem Spanischen übersetzt von Anja Lutter und Katharina Uhlig, Verlag Klaus Wagenbach Berlin