Biografie der ägyptischen Herrscherin

Kleopatra

Als Filmszene hat es sich ja nicht schlecht gemacht: Ein Sklave legt vor dem römischen Feldherrn Cäsar einen Teppich auf den Boden, rollt ihn aus und heraus kullert - Elizabeth Taylor in der Rolle von Kleopatra. In engem Kleid, mit großzügigem Dekolletee und schmachtendem Blick.

Es dauert nicht lange und sie hat Cäsar verführt. Einfach so. Doch die Wahrheit sah ein bisschen anders aus, meint Stacy Schiff. Kleopatra wurde damals zwar in den Palast geschmuggelt, - doch nicht in einem Teppich, sondern in einem Sack, den ein Vertrauter über der Schulter trug. Und diese Finte entsprang einer politischen Notwendigkeit. Die Autorin beginnt ihr Buch genau mit dieser Szene, die viele mit dem Film "Kleopatra" mit Elizabeth Taylor und Richard Burton verbinden. Ihr Absicht dahinter?

"Weil die Wirklichkeit gar nicht der Vorstellung entspricht, die wir von Kleopatra haben", meint Stacy Schiff. "Wir denken nie daran, dass sie eigentlich auf der Flucht war. In der Defensive. Denn ihr Bruder hatte die Oberhand. Ich wollte gleich von Anfang an klar machen: Das war eine ganz andere Kleopatra, als man sie sich üblicherweise vorstellt. Und außerdem war mit dieser Episode in der Recherchephase zu diesem Buch eine sehr eindrucksvolle Reise verbunden. Ich fuhr auf den Sinai, wo sie damals ihr Lager aufgeschlagen hatte. Dort, wo die Befestigung stand, gibt es heute auch eine Ausgrabungsstätte. Das zeigte mir sehr deutlich, wie Kleopatras Welt damals ausgesehen hat."

Kleopatra war also kein intrigantes Sexkätzchen mit zu viel Eyeliner. Sie wurde im Laufe der Zeit eine berechnende Potentatin. Sie regierte immerhin mehr als 20 Jahre die Geschicke des reichsten Landes in der antiken Welt. Doch eines verstand die ägyptische Königin sicher so gut wie Elizabeth Taylor:

"Eines ist in der Darstellung nicht ganz falsch: Man kann die Prominenz von Elizabeth Taylor gewiss mit jener von Kleopatra vergleichen", so Schiff. "Was freilich nicht stimmt, ist die äußere Erscheinung. Kleopatra war nicht schön. Das wissen wir von ihrem Abbild auf Münzen, die als naturgetreu gelten. Wie Elizabeth Taylor hat sie gewiss nicht ausgesehen. Kleopatra hatte ein kantiges Gesicht, eine spitze Nase und ein spitzes Kinn. Sie sah Elizabeth Taylor gar nicht ähnlich."

Acht Sprachen beherrscht

Stacy Schiff hat sich zur Aufgabe gestellt, die historische Figur von ihren Mythen zu befreien. Neue historische Quellen gab es keine zu entdecken. Doch die Autorin zog alles existierende Material zu Rate und ging Quellen mit Übersetzern durch. Sie gewichtete, was historisches Faktum sein mochte und was eher in die Kategorie von Palasttratsch fallen würde. Einiges lässt sich indirekt aus Quellen schließen.

"Es gibt sehr viel Literatur dazu, was Töchter und Söhne der Eliten des Altertums gelesen haben", sagt Schiff. "Wie sie erzogen wurden. Information über Kleopatras Kindheit gibt es freilich nicht, denn so etwas wie Kindheit gab es in der Antike kaum. Man kann aber rekonstruieren, was Lehrer ihr beigebracht haben, welche Bücher sie auswendig gelernt hatte. Sie würde also dieselben Zeilen von Homer und Euripides gekannt haben wie Cäsar oder Marc Anton. Ihre Muttersprache war sicher Griechisch. Dass sie eine große Linguistin war, gibt schon allein Aufschluss über ihre Erziehung. Wir wissen von Plutarch, dass sie acht Sprachen fließend beherrschte."

Der griechische Historiker Plutarch war eine der wichtigsten historischen Quellen. Eine andere war jemand, um den niemand im Lateinunterricht herumkommt: nämlich Cicero, der römische Politiker und Schriftsteller. Über Kleopatra sagte er: "Ich verabscheue die Königin".

"Cicero konnte niemanden ausstehen", meint Schiff. "Es ist ja köstlich, wie er wirklich an niemandem ein gutes Haar ließ. Doch aus seiner Kritik kann man auch sein Unbehagen herauslesen: Hier war eine steinreiche Frau, der eine riesige Bibliothek gehörte und die zudem sehr mächtig war. Eine Ausländerin mit so viel Macht, die so viel Extravaganz demonstrierte wie Kleopatra, (...) all das stand im Gegensatz zu den römischen Tugenden von Frömmigkeit und Schlichtheit."

Im Zentrum der Welt

Diese Ausländerin stammte noch dazu aus dem Osten. Dem Orient. Einem Teil der Welt, der Römern ohnehin suspekt war. Dazu kam, dass Römer damals unter einem Minderwertigkeitskomplex litten. Denn Rom war zu Kleopatras Zeiten ein Provinznest, wo schlecht konstruierte Wohnhäuser einfach in sich zusammenfielen. Es war also keine Rede von imposanten Patrizierhäusern, von großzügigen Tempelanlagen.

"Alexandria war damals das Zentrum der Welt", so Schiff. "Und Kleopatra saß mitten in dieser Stadt der Kultur und der Wissenschaft. Wenn man damals ein spezielles Buch wollte, ließ man es sich von Alexandria bringen. Dorthin wandte man sich, wenn man einen Arzt, einen Lehrer, einen Hundetrainer oder einen Handwerker brauchte. In Alexandria fand man die schönsten Juwelen. Früher war Griechenland die Wiege der Kultur. Diese Rolle nahm nun Alexandria ein. Besucher fanden die Stadt atemberaubend. Das war so schön beim Recherchieren, wenn ich auf Stellen stieß, wo jemand schrieb: 'Diese Stadt kann man nicht beschreiben. Dafür gibt es keine Worte.' – Und dann schrieben sie 20 Seiten darüber."

Rom wurde erst unter Octavian, der Kleopatra und Marc Anton schließlich besiegte, zu der goldenen Stadt des Altertums. Octavian benannte sich in Kaiser Augustus um, engagierte ägyptische Architekten und Handwerker. Und finanzierte den Bauboom mit ägyptischem Gold.

Jute statt Schlange

Stacy Schiff befasst sich auch eingehend mit Kleopatras Selbstmord. In Gemälden über die Jahrhunderte wird es so dargestellt, dass sie sich von Schlangen beißen ließ. Die Autorin ist skeptisch:

"Warum hätte sie sich auf eine Schlange verlassen sollen? Sie wusste, dass sie schnell und präzise handeln musste. Das ergibt für mich keinen Sinn. Zudem kannte sie sich mit Giften aus. Viele Ptolemäer haben in der Vergangenheit Gift verwendet. Sie kannte sicher viele Möglichkeiten, wie sie sich umbringen konnte. Und dann muss man noch ihre Dienerinnen bedenken. Auch diese starben. All das einer Schlange zu überlassen, erscheint mir nicht so strategisch, wie Kleopatra üblicherweise handelte."

Eine Biografie über eine Figur des Altertums zu schreiben ist zwangsläufig mit Frustration verbunden, denn viele Fragen tauchen auf. Doch Antworten darauf wird es nie geben. Wie zum Beispiel die Frage nach Kleopatras spektakulärer Selbstinszenierung als Göttin. War das nur für das ägyptische Volk bestimmt? Oder hielt sie sich selbst für göttlich? Eine der Fragen ist auch: Was machte Kleopatra so unwiderstehlich? Denn schön, wie Elizabeth Taylor, war sie ja nicht.

"Plutarch hat uns die beste Beschreibung hinterlassen: Er schreibt von Kleopatras samtener Stimme; dass Menschen von ihr sofort bezaubert waren, fast so, als hätte man sie verhext", meint Schiff. "Ich weiß nicht, wie man Charme treffend in Worte fasst. Ich bin mir sicher, dass wir alle so etwas wie Charisma gerne erleben. Ich glaube, Plutarch hat es wirklich perfekt beschrieben."

Service

Stacy Schiff, "Kleopatra. Ein Leben", aus dem Amerikanischen übersetzt von Helmut Ettinger und Karin Schuler, Bertelsmann