Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus
Sprache unterm Hakenkreuz
Gab es eine Sprache des Nationalsozialismus? Hat sich die Allgegenwart der NS-Ideologie auch in einer zentralen Steuerung des Sprachgebrauchs niedergeschlagen? In einer Sprache zwischen Allmacht und Gewalt? In einer Sprache der totalitären Diktatur, die bewußt die öffentliche Meinung lenkte und bis in die Alltagskommunikation eindrang?
8. April 2017, 21:58
Für den deutschen Philologen Horst Dieter Schlosser von der Universität Frankfurt war weder die NS-Diktatur selbst noch der in ihr etablierte Sprachgebrauch ein "Ausrutscher" der Geschichte, denn die verbreiteten Denk-und Sprachmuster kristallisierten sich bereits vor der Machtergreifung von 1933 heraus. So versucht der Autor nachzuweisen, dass von den Propagandisten der nationalsozialistischen Ideologie ein spezielles, bis ins Kleinste kalkuliertes Vokabular konstruiert wurde.
Verarmung der Sprache
Diese Gleichschaltung der Sprache diente sowohl der Verfestigung der NS-Herrschaft wie auch der Vernebelung vieler innerer Widersprüche der NS-Ideologie. Mittels permanenter Wiederholung bestimmter Ausdrücke und Wendungen, vertrauter Abkürzungen und technizistischer Bürokratismen sollte die Übernahme der gesamten Propaganda erleichtert und schließlich eine wachsende Akzeptanz für die Umsetzung der gepredigten Gewalt geschaffen werden. Zu den Hauptstrategien zählte die Einengung von Wortbedeutungen auf eine einzige jeweils erwünschte Facette, um die Bedeutungsvielfalt der Kommunikation einzuschränken. Der Preis war eine tatsächliche Verarmung der Sprache.
Zitat
Die rassenideologische Fixierung des Regimes verlieh Begriffen wie "Blut" und "Rassereinheit" einen gleichsam transzendentalen Hochwertcharakter. (...) Besondere Wertschätzung erfuhren alle sprachlichen Zeichen, die der "Kampfbereitschaft" des Deutschen, damit auch seiner mentalen Vorbereitung auf den Krieg dienen konnten. Zivile Sachverhalte wie die Steigerung der Geburtenzahl oder die Arbeitsbeschaffung wurden verbal militarisiert als "Geburtenschlacht", "Arbeitsschlacht" und "Arbeitsfront". Militarisierende Umschreibungen alltäglicher Sachverhalte mündeten während des Krieges im Versuch, unübersehbaren Bedrohungslagen den Anschein von Normalilität zu verleihen, insbesondere in Bezeichnungen wie "Kriegsweihnachten", "rückgeführte Volksgenossen" oder "Frontgau". (...) Absoluter Tiefpunkt der nicht nur sprachlichen Entwürdigung von Menschen war die Zuständigkeit eines "Amts für Schädlingsbekämpfung" für die Beschaffung des Giftgases Zyklon B, mit dem der Massenmord betrieben wurde.
Umkehr der Täter- und Opferperspektive
Nicht selten gingen sprachliche Verharmlosungen auch mit einer Umkehr der Täter- und Opferperspektive Hand in Hand – eine Propagandastrategie, die bereits vor der Machtergreifung gepredigt wurde: das deutsche Volk als Opfer einer internationalen Verschwörung, die zum "Versailler Diktat" führte.
Bereits der deutsche Kriegseintritt im Jahre 1914 galt als "aufgezwungene Reaktion" auf feindliche Einkreisungen, später wurde der Angriffskrieg in einen "aufgezwungenen" Verteidigungskrieg umgemünzt und der Vernichtungskrieg zum "deutschen Freiheitskampf" stilisiert. Darüber hinaus verbargen sich hinter den sprachlichen Verschleierungen die schlimmsten Verbrechen des NS-Regimes, wie etwa bei den Bezeichnungen "Sonderbehandlung", "Selektion" und "Endlösung" für Mord und Massenmord.
Zitat
Die Verfolgung von Gegnern und die Auslösung des Krieges wären ohne eine sprachliche Einübung des Volkes in menschenverachtendes und totalitäres Denken kaum so reibungslos verlaufen. Insbesondere im Zusammenhang der Verfolgung und Vernichtung der Juden lässt sich nachweisen, dass zunächst einmal das Feld für Gewalt und Massenmord verbal bereitet wurde, bis man schließlich im konkreten Handeln auf sprachliche Tricks der Verschleierung verzichten und die nackte Gewalt sprechen lassen konnte.
Wenig analytische Schärfe
Horst Dieter Schlosser ist eine überzeugende Studie anhand eines sprachwissenschaftlichen Blickwinkels gelungen. Dass sie dennoch keine großen Überraschungen zu bieten hat, liegt am vorwiegend beschreibenden Zugang, der oberflächlich bleibt. Mehr analytische Schärfe hätte dem Buch gut getan, etwa die Differenzierung von allgemeinen Sprachlenkungsmethoden, wie sie jede Diktatur vornimmt und den spezifischen Eigenarten der deutschen politischen Kultur, die in die Sprache des Nationalsozialismus' eingeflossen sind. Daraus hätten sich auch tiefere Zusammenhänge aufzeigen lassen, denn trotz seiner Materialfülle bietet das umfangreiche Buch für die Fachwelt nicht wirklich neue Erkenntnisse.
Service
Horst Dieter Schlosser, "Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus", Böhlau Verlag