Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus

Sprache unterm Hakenkreuz

Gab es eine Sprache des Nationalsozialismus? Hat sich die Allgegenwart der NS-Ideologie auch in einer zentralen Steuerung des Sprachgebrauchs niedergeschlagen? In einer Sprache zwischen Allmacht und Gewalt? In einer Sprache der totalitären Diktatur, die bewußt die öffentliche Meinung lenkte und bis in die Alltagskommunikation eindrang?

Für den deutschen Philologen Horst Dieter Schlosser von der Universität Frankfurt war weder die NS-Diktatur selbst noch der in ihr etablierte Sprachgebrauch ein "Ausrutscher" der Geschichte, denn die verbreiteten Denk-und Sprachmuster kristallisierten sich bereits vor der Machtergreifung von 1933 heraus. So versucht der Autor nachzuweisen, dass von den Propagandisten der nationalsozialistischen Ideologie ein spezielles, bis ins Kleinste kalkuliertes Vokabular konstruiert wurde.

Verarmung der Sprache

Diese Gleichschaltung der Sprache diente sowohl der Verfestigung der NS-Herrschaft wie auch der Vernebelung vieler innerer Widersprüche der NS-Ideologie. Mittels permanenter Wiederholung bestimmter Ausdrücke und Wendungen, vertrauter Abkürzungen und technizistischer Bürokratismen sollte die Übernahme der gesamten Propaganda erleichtert und schließlich eine wachsende Akzeptanz für die Umsetzung der gepredigten Gewalt geschaffen werden. Zu den Hauptstrategien zählte die Einengung von Wortbedeutungen auf eine einzige jeweils erwünschte Facette, um die Bedeutungsvielfalt der Kommunikation einzuschränken. Der Preis war eine tatsächliche Verarmung der Sprache.

Umkehr der Täter- und Opferperspektive

Nicht selten gingen sprachliche Verharmlosungen auch mit einer Umkehr der Täter- und Opferperspektive Hand in Hand – eine Propagandastrategie, die bereits vor der Machtergreifung gepredigt wurde: das deutsche Volk als Opfer einer internationalen Verschwörung, die zum "Versailler Diktat" führte.

Bereits der deutsche Kriegseintritt im Jahre 1914 galt als "aufgezwungene Reaktion" auf feindliche Einkreisungen, später wurde der Angriffskrieg in einen "aufgezwungenen" Verteidigungskrieg umgemünzt und der Vernichtungskrieg zum "deutschen Freiheitskampf" stilisiert. Darüber hinaus verbargen sich hinter den sprachlichen Verschleierungen die schlimmsten Verbrechen des NS-Regimes, wie etwa bei den Bezeichnungen "Sonderbehandlung", "Selektion" und "Endlösung" für Mord und Massenmord.

Wenig analytische Schärfe

Horst Dieter Schlosser ist eine überzeugende Studie anhand eines sprachwissenschaftlichen Blickwinkels gelungen. Dass sie dennoch keine großen Überraschungen zu bieten hat, liegt am vorwiegend beschreibenden Zugang, der oberflächlich bleibt. Mehr analytische Schärfe hätte dem Buch gut getan, etwa die Differenzierung von allgemeinen Sprachlenkungsmethoden, wie sie jede Diktatur vornimmt und den spezifischen Eigenarten der deutschen politischen Kultur, die in die Sprache des Nationalsozialismus' eingeflossen sind. Daraus hätten sich auch tiefere Zusammenhänge aufzeigen lassen, denn trotz seiner Materialfülle bietet das umfangreiche Buch für die Fachwelt nicht wirklich neue Erkenntnisse.

Service

Horst Dieter Schlosser, "Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus", Böhlau Verlag