Warum Politik heute anders funktioniert
Wir wollen nicht unsere Eltern wählen
Verwöhnte Bälger, gut ausgebildet, aber doch sehr angepasst im Vergleich zu den 68ern. Eine politikverdrossene Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist und ihre Köpfe nur in selbiges steckt.
8. April 2017, 21:58
Als Generation Pippi Langstrumpf bezeichnete "Die Zeit" die heutigen 20- bis 30-Jährigen, denn die machen sich die Welt, widdewidde wie sie ihnen gefällt: zum Beispiel wenn die jungen Arbeitnehmer selbstbewusst und fordernd am Arbeitsmarkt auftreten. Hanna Beitzer, 1982 geboren und Journalistin bei der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung", erklärt in ihrem Buch "Wir wollen nicht unsere Eltern wählen" warum Politik heute anders funktioniert und warum die heutige Generation, die Generation Y anders tickt.
Vertrauen nur zu sich selbst
"Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein? Naja. Die Generation Y ist es vor allem gewohnt, von sich als Individuum zu denken", schreibt Hanna Beitzer. Das habe Auswirkungen auf das Politikverständnis und das sei auch ein Unterschied zur vorherigen Generation.
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Die nach 1980 Geborenen haben sich nie als Teil einer Bewegung betrachtet. Sie vertrauen aus gutem Grund weder dem Markt noch einer politischen Ausrichtung. Sie vertrauen nur sich selbst. Und nahmen sich schon immer das Recht heraus, in manchen Belangen sozialdemokratisch, in anderen neoliberal und in einigen auch konservativ zu denken. Das macht Wahlentscheidungen ziemlich schwierig. Und noch schwieriger macht es parteipolitisches Engagement, da Parteien traditionell mit relativ festen Wertgerüsten arbeiten - jedenfalls nach außen hin.
Trotz in Stein gemeißelter Wertgerüste der Parteien, fällt es schwer zu benennen, wofür die einzelnen Parteien wirklich stehen, schreibt Hanna Beitzer über die deutsche Politik, aber das gilt wohl auch für Österreich. Das Denken in politischen Lagern passt nicht mehr in unsere Welt, einer ganzen Generation deswegen das Label "unpolitisch" aufzudrücken, hält Hanna Beitzer für Unsinn. Viele sind aktiv und beteiligen sich beispielsweise bei Internet-Petitionen gegen Netzzensur, bei Online-Klimaschutz-Initiativen oder schreiben kritische Blogs. Die Jungen tummeln sich im Netz - für die Generation der 68er ein unsichtbares Engagement an einem unbekannten Ort.
Politik im Internet
Hanna Beitzer fokussiert ihre Analyse auf die Politik in Deutschland, die Vergleiche treffend und auch zutreffend für Österreich, zum Beispiel wenn es um Politik und Internet geht. Die Piraten scheinen die Möglichkeit des Internets als Erste vollständig in die Politik zu übertragen, schreibt Beitzer.
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Sie streamen Fraktionssitzungen live ins Internet (erste Erkenntnis: zuweilen ganz schön öde), experimentieren mit einem Antragstool namens "liquid feedback" herum (erste Erkenntnis: ganz schön kompliziert), twittern, was das Zeug hält (erste Erkenntnis: ganz schön geschwätzig) und kommunizieren hauptsächlich über Mailinglisten und Chatprogramme (erste Erkenntnis: ganz schön viele Trolle). Außerdem gehört Netzpolitik zu ihren Kernthemen - ein Politikfeld, das bei den alten Parteien eher unter "ferner liefen" vorkam, das aber unsere Lebenswirklichkeit unmittelbar berührt.
Auch die etablierten Parteien sollten sich des Internets annehmen, als Inhalt und als digitalen Kommunikationskanal, denn über Online-Medien, Blogs und Facebook erreicht man auch die jungen Wähler - die Jungen, die nicht nur Politiker, sondern auch Arbeitgeber fordern.
Das Leben als Gesamtkonzept
Die Jungen wollen hinter dem, was das Unternehmen produziert, stehen, schreibt Hannah Beitzer, ganz egal, ob das nun Waren oder Ideen sind, denn sie begreifen ihr Leben als Gesamtkonzept, in dem die Arbeit zu einem nicht unerheblichen Teil definiert, wer man ist. Sie fordern zum Beispiel Feedback, Väterkarenz und Freizeit, denn sie sind es gewohnt, Wahlmöglichkeiten zu haben und das von früher Kindheit an, so Hannah Beitzer: Tennis oder Fußball? Theater AG oder Computerkurs? Studium oder Au-pair-Jahr? Viva oder MTV?
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Werbung, Medien, Lehrer und Eltern versprachen uns die Große Freiheit, verlangten aber auch, dass die eigenen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden - wo es doch so viele gibt. Das zog sich bis hin zur Berufswahl. Platt ausgedrückt: Früher studierte das Bildungsbürgerkind und wurde Lehrer, Anwalt oder Arzt. Die meisten bewegten sich in der Regel nicht allzu weit von ihrem Heimatort weg, heirateten, bekamen Kinder, bauten ein Häuschen. Heute gibt es allein x verschiedene medizinische Fachrichtungen. Und Tausende Studienrichtungen, bei denen das Berufsbild überhaupt nicht klar ist.
Das Internet im Mittelpunkt
Hannah Beitzer widmet dem Internet viel Raum in ihrem Buch, klar - das Netz ist für die Generation Download und die Digital Natives ja ein besonderer Platz. "Für euch ist es eine Bedrohung, für uns ist es ein Lebensraum", schreibt Beitzer über das Internet und über die Generationenkluft, wenn es um das Internet und das Verständnis dafür geht.
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Die Alten kapieren nicht, warum es ausgerechnet "dieses Internet" ist, das uns auf die Straße bringt. Warum auf einmal schon bei Kindern nicht mehr Tierschutz angesagt ist, sondern der Widerstand gegen Netzzensur, warum wir nicht mehr gegen Kriege demonstrieren, sondern gegen das Urheberrechtsabkommen ACTA. Und da die Alten sich für verständnisvoller, aufgeklärter und geistig frischer halten als ihre eigenen Eltern, fällt es ihnen noch schwerer als diesen, das Engagement der Jungen als politisch anzuerkennen und die wahre Bedeutung des Netzes für diese Generation zu durchschauen.
Sehr pointiert schreibt die Netz-Journalistin das Kapitel über das Internet, über das Dauerthema Urheberrecht, das umstrittene ACTA-Abkommen, Download, Musikpiraterie und Schwarzweiß-Malerei bei diesem Thema. Gefährlich wird es in der ganzen Diskussion immer dann, wenn dem Internet eine Rolle zugewiesen wird, die über die eines Mediums hinausgeht. Zum Beispiel wenn es heiße "das Internet habe die Revolutionen im arabischen Raum ausgelöst oder "das Internet" diene dazu, Bürger auszuspähen und zu unterdrücken. Blödsinn, meint Beitzer, dahinter stehen Menschen und ein politisches System und nicht ein technisches Werkzeug.
Ringen mit sich selbst
Der Generationenkonflikt ist also da, resümiert Hannah Beitzer, er ist nur ein wenig komplexer als früher. Die Generation Y ringe nicht mit dem Feindbild der Alten, sondern mit sich selbst.
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Die 68er haben ihren Protest auf die Straße getragen, wo ihre eigenen Eltern ihn sehen konnten. Heute sind die Jungen im Netz - wo sich die Alten nicht auskennen. Die Piraten haben das Netz nun reingeholt in den Politikbetrieb. Und damit auch diejenigen von uns, die wir keine Piraten sind, aber trotzdem mitmachen wollen. Alles, was daraus folgt, ist ein Generationenkonflikt, wie man ihn nur zu gut kennen sollte. Die Alten meckern, wissen alles besser, prophezeien ein Scheitern.
Und die Jungen? Hanna Beitzer ist optimistisch: Die Jungen experimentieren, scheitern, machen weiter und verändern am Ende vielleicht nur bisschen, aber das Bisschen sei mehr als gar nichts.
Service
Hannah Beitzer, "Wir wollen nicht unsere Eltern wählen. Warum Politik heute anders funktioniert", Rowohlt Verlag