"Alphabet": Wagenhofer kritisiert Bildungssystem

Nach "We Feed the World", in dem es um die Nahrungsmittelindustrie ging, und "Let's Make Money" über die Machenschaften der Finanzwelt hat der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer jetzt den dritten und letzten Teil seiner Trilogie fertiggestellt. In "Alphabet" setzt er sich mit dem Bildungssystem auseinander.

Mittagsjournal, 24.8.2013

In "Alphabet" geht es nicht darum, eine Schulform gegen eine andere auszuspielen oder Vergleiche zu bringen. Erwin Wagenhofer will den Begriff "Bildung" weiter fassen, und untersuchen, welche Hintergründe unsere heutigen Bildungssysteme haben.

Da gibt es das Extrembeispiel China. Ein Bildungssystem, das essentiell auf Konkurrenz aufgebaut ist, wo nur die Besten gewinnen. Beispiel: Mathematik -Olympiaden für Schüler, wie die in der Provinz Sichuan. Die chinesischen Studenten sind führend bei allen PISA-Studien. Schon im zarten Kindesalter werden sie aufs Lernen getrimmt: Bereits im Kindergarten bekommen sie Hausaufgaben.

Die Schattenseite dabei: chinesische Studenten kennen auch bei Erfolgen kein Glücksgefühl, Freizeit ist ein Fremdwort, sie leiden an chronischem Schlafmangel und sie führen auch in der weltweiten Statistik der Selbstmorde vor Prüfungen.

In dieses Schema passt auch eine Manager-Elite-Ausbildung in Europa: von 2.000 Kandidaten für den "CEO of the future" -Wettbewerb bleiben schließlich 20 übrig. Junge Menschen, die in ihren Aussagen bereit sind, alles, wirklich alles, dem Erfolg zu opfern.

Zu Wort kommen in Wagenhofers Film Pädagogen und Bildungswissenschaftler. Ihre Kritikpunkte: In unserem Bildungssystem werden junge Menschen erzogen, standardisierte Antworten auf Prüfungsfragen zu geben. Die einzige Maxime ist, Leistung zu bringen, nicht nachzudenken. Kreativität und Phantasie bleiben auf der Strecke.

Unser Denken, so ein ehemaliger deutscher Spitzenmanager, stammt aus der Frühzeit der Industrialisierung, als es darum ging, aus Menschen Rädchen für eine arbeitsteilige Produktionsgesellschaft zu machen. Es sei ein Bildungssystem, das der Kadettenausbildung nachempfunden ist.

98 Prozent der Kleinkinder haben das Rüstzeug, hochbegabt zu sein, sie können erlernen, was sie interessiert, und das mit Leidenschaft. Das sei allerdings mit einem Bildungssystem, in dem es um die Erfüllung normierter Leistungskriterien geht, nicht zu schaffen, sagt der Hirnforscher Gerald Hüther. Zusatz: "Sie können keinen zwingen, dass er sich bilden will, sie können ihn nur einladen."

Wagenhofer bringt das eindrucksvolle Gegenbeispiel eines jungen Mannes, der nie eine Schule besucht hat, der sich alles - Lesen und Schreiben, Musizieren oder Fremdsprachen - selbst beigebracht hat, und der als Musikinstrumentebauer, Musiker und Autor lebt. Allerdings kommt er aus einem künstlerisch und pädagogisch ausgebildeten Elternhaus. Anderes Beispiel: ein junger Mann, der trotz Down-Syndroms ein Universitätsstudium zum Pädagogen geschafft hat.

Aber auch das gesellschaftliche Scheitern, außerhalb des Bildungssystems wird an einem jungen Arbeitslosen gezeigt, der keinen Zugang zu einer von ihm gewünschten Ausbildung fand, und sich mit Gelegenheitsjobs finanziell mühsam über Wasser hält. Sein Traum: ein eigenes Heim und Familie.

Und so geht es schließlich darum, Wege zu finden, jene spielerische Kreativität zu fördern, die uns helfen könnte, ohne Angst vor dem Scheitern, Lösungen zu suchen.

Im Oktober kommt der Film "Alphabet" von Erwin Wagenhofer in die heimischen Kinos.

Textfassung: Joseph Schimmer

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