Ernst Jüngers Kriegstagebuch als Roman
In Stahlgewittern
Ernst Jünger gehört zu den umstrittensten intellektuellen Autoren deutscher Sprache. Einer seiner Textbände trägt den Titel "Krieg und Krieger". Jünger war Schriftsteller und Krieger - und er machte in seinem Auftreten, in den Interviews und eben in vielen seiner Schriften kein Hehl aus dieser Tatsache.
8. April 2017, 21:58
Das hat ihm vor allem im Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg viel Kritik eingebracht. Gerade das Buch "In Stahlgewittern", das erstmals 1920 veröffentlicht wurde, diente und dient seinen Gegnern als Beweis für seine militante, antidemokratische Gesinnung. Erich Maria Remarque, der mit seinem 1929 erschienen Roman "Im Westen nichts Neues" den wohl ersten Antikriegsbestseller verfasste, meinte allerdings, dass Bücher wie "In Stahlgewittern" einen noch stärkeren pazifistischen Einfluss ausübten als alle anderen.
Paul Levi, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands und ab 1924 Angehöriger der SPD-Fraktion im Reichstag, gab sogar ein noch stärkeres Urteil ab. Den Schrecken des ganzen Erlebens habe vielleicht keiner so geschildert, so Levi, kaum sei eine furchtbarere Anklage gegen den Krieg geschrieben als dieses Buch eines Mannes, der zum Kriege "positiv" eingestellt sei.
Jünger, der Krieger
Andererseits repräsentierte Jünger als Kriegsheld und literarischer Kriegsberichterstatter für die Nationalsozialisten das leuchtende Beispiel deutscher Gesinnung. Hitler selbst schrieb an Jünger, dass er all seine Kriegsbücher gelesen und schätzen gelernt habe. Und Joseph Goebbels vermerkte nach der Lektüre von "In Stahlgewittern": Ein glänzendes, großes Buch, grauenerregend in seiner realistischen Größe. Schwung, nationale Leidenschaft, Elan, das deutsche Kriegsbuch.
Ernst Jünger selbst war zwar kein Parteigänger der Nazis, aber ein entschiedener und durchaus in seiner Wortwahl militanter Gegner der Weimarer Republik. Hitler wusste mit dem widerborstigen Jünger umzugehen: Er machte ihn zum Hauptmann der Wehrmacht - und der Krieger in Jünger konnte nicht widerstehen. Zudem war Jünger durchaus deutsch gesinnt. Die meisten Fassungen von "In Stahlgewittern" enden damit, dass der Offizier Jünger für seine Verdienste im Feld den Orden "Pour le merite" erhält, die bedeutendste militärische Auszeichnung, die damals vergeben wurde. In der Fassung von 1924 und 1934, also nach der Machtübernahme Hitlers, lautet der Schluss von "In Stahlgewittern" allerdings so:
Zitat
Wenn auch von außen Gewalt und von innen Barbarei sich in finsteren Wolken zusammenballen, - solange noch im Dunkel die Klingen blitzen und flammen, soll es heißen: Deutschland lebt und Deutschland soll nicht untergehen!
Solch nationale Phraseologie ist heutigen Lesern mehr als unangenehm. Doch man muss genau lesen: Wieso herrscht nach Jüngers Meinung im Inneren Deutschlands "Barbarei"? Meint er die noch nicht ganz zum Verstummen gebrachten Demokraten oder meint er schon die an die Macht gekommen Nazis?
Historisches Dokument
Heute liest man "In Stahlgewittern" wiederum eher als historisch-literarisches Dokument. Das hat zwei Gründe. Auf der einen Seite ist der Erste Weltkrieg Geschichte, nächstes Jahr sind es 100 Jahre her seit seinem Beginn. Und somit ist die historisch-kritische Ausgabe von "In Stahlgewittern" der Auftakt für eine Menge von Büchern und Veranstaltungen zu diesem Phänomen.
Auf der anderen Seite hat der Klett-Cotta-Verlag vor drei Jahren Jüngers "Kriegstagebuch 1914-1918" herausgegeben. Zum ersten Mal bekam man so Einblick in Jüngers aktive Kriegsteilnahme. Als einfacher Soldat und dann als Leutnant kämpfte er im Verlauf des Krieges an sämtlichen Brennpunkten der Westfront, sein Wagemut als Anführer von Stoßtrupps machte ihn berühmt.
Bei allen Einsätzen führte er Notizhefte bei sich, um die Erlebnisse unmittelbar notieren zu können. Dieses "Kriegstagebuch" gehört tatsächlich zu den schrecklichsten Dokumenten über das Kriegsgeschehen. Jünger gab auch den ersten Auflagen von "In Stahlgewittern" den Untertitel "Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers". Denn das Tagebuch war eben die Basis, auf der dann "In Stahlgewittern" geschrieben wurde.
Reflexionen eines deutschen Frontoffiziers
Die jetzige historisch-kritische Ausgabe arbeitet zwar das Kriegstagebuch nicht direkt in die Fassungen von "In Stahlgewittern" ein, aber der Kommentarband nimmt sehr oft Bezug auf sie. Man kann also so sagen: Das "Kriegstagebuch" beinhaltet Aufzeichnungen unmittelbarer Kriegserfahrung, "In Stahlgewittern" ist die literarisierte Version der Erlebnisse und Reflexionen eines deutschen Frontoffiziers.
Ernst Jünger hat seit der Erstausgabe von "In Stahlgewittern" 1920 sechs Fassungen des Textes erstellt, die in Teilstücken erheblich voneinander abweichen. Wenn man bedenkt, dass das Kriegstagebuch ab 1914 geschrieben wurde, die letzte Fassung von "In Stahlgewittern" von 1978 stammt, so kann man sagen, dass der Autor an diesem Text über 60 Jahre gefeilt hat. Das hat in der Literaturgeschichte Seltenheitswert.
Man hat viel herumgerätselt, weswegen Jünger dieser Text fast sein ganzes Leben begleitet hat. Wahrscheinlich war der Erste Weltkrieg sein Initiationserlebnis, mit ihm und den Aufzeichnungen darüber wurde er bewusst Teil der modernen Welt. "In Stahlgewittern" beschreibt ja einerseits den Sittenkodex der preußischen Offiziere, der mehr und mehr im Schlamm der Stellungskämpfe verloren geht, und einem Draufgängertum, wie ihn Jünger selbst ausübte, weichen musste. Andererseits sah sich Jünger als aktiver Teil eines Kriegsgeschehens, das durch angewandte moderne Technik und durch die Mitwirkung von Menschenmassen eine ganz neue Zeit weltweiter kriegerischer Auseinandersetzung einläutete.
Mehrere Fassungen geschrieben
Jünger sah den Menschen nicht nur als friedfertiges Wesen, sondern auch als ein kriegerisches. Dies wollte er in jeder Fassung seines Textes klar stellen, zugleich jede Fassung an die jeweiligen Zeitumstände anpassen. Der Schriftsteller und Krieger Jünger meinte es da ernst, dies alles betraf auch seine eigene Literatursprache.
Zitat
Die Sprache begleitet uns ununterbrochen auf dem Marsch; sie verlangt eine neue Entfaltung bei jedem Gefecht, das zu schlagen ist.
Die historisch-kritische Ausgabe bietet nun zum ersten Mal im Paralleldruck linksseitig den Text der Erstausgabe von 1920 und auf der rechten Seite den Text der Fassung letzter Hand von 1978. Den ersten Granatenbeschuss im Feld erleben Ernst Jünger und seine ebenfalls kaum über zwanzig Jahre alten Kameraden mit Schauder. Dieses Erlebnis nutzt Jünger in der Erstausgabe von 1920 für eine allgemeine Reflexion.
Zitat
Das war ein Gefühl, an das es keine Gewöhnung gab, denn der Selbsterhaltungstrieb bleibt immer derselbe. Daher ist die Annahme irrig, dass der Soldat im Verlauf eines Krieges härter und tapferer wird. Was an Technik, an der Kunst, den Gegner richtig anzufassen, auf der einen Seite gewonnen wird, geht an der anderen verloren an Nervenkraft.
In der Ausgabe letzter Hand von 1978 ist das direkte Kriegserlebnis bereits Geschichte. Jünger weiß, dass er als Autor seine Leser in die damalige Zeit zurückholen muss.
Zitat
Das sollte uns übrigens durch den ganzen Krieg begleiten, dieses Zusammenfahren bei jedem plötzlichen und unerwarteten Geräusch. Ob ein Zug vorbeirasselte, ein Buch zu Boden fiel, ein nächtlicher Schrei erscholl - immer stockte der Herzschlag für einen Augenblick unter dem Gefühl einer großen und unbekannten Gefahr. Es war ein Zeichen dafür, dass man vier Jahre im Schlagschatten des Todes stand.
Neue Art der Kriegsführung
Zu Beginn der Schlacht an der Somme, der mit rund einer Million verwundeten und getöteten Soldaten verlustreichste Waffengang im Ersten Weltkrieg, schreibt Jünger in der Erstfassung so, als hätten er und seine Kameraden nicht ahnen können, welche Hölle ihnen da bevorstand. In der Ausgabe von 1978 hat Jünger für die nachkommenden Generationen Folgendes vermerkt.
Zitat
Wir zogen gleichsam in einen neuen Krieg. Was wir bisher, freilich ohne es zu ahnen, erlebt hatten, war der Versuch gewesen, den Krieg durch Feldschlachten alten Stiles zu gewinnen, und das Versanden dieses Versuches im Stellungskrieg. Nun stand uns die Materialschlacht mit ihrem riesenhaften Aufgebot bevor.
Die historisch-kritische Ausgabe bietet aber auch ein "Variantenverzeichnis", in dem alle Veränderungen in den verschiedenen Fassungen aufgeführt werden. Das sind oft kleinere Dinge, die man nicht unbedingt beachten muss. Jedoch gibt es Textpassagen, die äußerst aufschlussreich sind. Über ein Gefecht mit Schnellfeuergewehren und einem Abendhimmel voller Leuchtkugeln wird in den ersten Fassungen ganz nüchtern berichtet, so als ob Jünger das Erlebte direkt aus seinem "Kriegstagebuch" übernommen hätte. Ab der vierten Fassung von 1934 gerät Jünger ins Schwärmen - die Militäraktion erstrahlt im Licht der Kunst.
Zitat
Diese Augenblicke, in denen die volle Besatzung in höchster Spannung hinter der Brüstung stand, hatten etwas Zauberhaftes; sie erinnerten an jene atemlose Sekunde vor einer entscheidenden Vorführung, während deren die Musik abbricht und die große Beleuchtung eingeschaltet wird.
Kein Kriegsverherrlicher
Die an Metaphern reiche, ja, manchmal "blumig" wirkende Sprache in Jüngers "In Stahlgewittern" hat dem Autor viel Kritik eingebracht - er verherrliche den Krieg. Dieses Urteil ist einfach falsch. Sicher, das Heroische, das Soldatisch-Mannhafte ist Teil seiner Beschreibungen. Man muss sich da vor Augen halten, dass nicht nur Jünger, sondern auch etwa Robert Musil, Heimito von Doderer, Oskar Kokoschka und Ludwig Wittgenstein begeistert als Offiziere in den Ersten Weltkrieg gezogen sind. Im Buch "In Stahlgewittern" wird aber auch klar herausgearbeitet, dass dieser Krieg durch den Einsatz moderner Technik zu einem Instrument der Massenvernichtung mutierte. Faszination und Schrecken liegen da eng beieinander. Damit ist die historisch-kritische Ausgabe von "In Stahlgewittern" ein kaum zu unterschätzendes Zeitdokument.
Neben dem Text und seinen verschiedenen Ausgaben und Varianten liefert die Ausgabe viel Wissenswertes rund um die Person Jüngers und um den Ersten Weltkrieg. "In Stahlgewittern" ist keine historische Arbeit, die aus der Distanz geschrieben wurde. "In Stahlgewittern" ist Kriegsliteratur, die ganz nahe ans Geschehen heranführt - und hinein in die Hölle. Diese moderne Kriegshölle, in der oft die Flammen mächtig erstrahlen, wollte Ernst Jünger für die Nachwelt überliefern. Das ist diesem Schriftsteller und Krieger denn auch gelungen.
Service
Ernst Jünger, "In Stahlgewittern", historisch-kritische Ausgabe, Klett-Cotta