Polleschs "Cavalcade" im Akademietheater
"Cavalcade or being a holy motor" ist der Titel des neuen Stücks von René Pollesch, das jetzt am Wiener Akademietheater seine Uraufführung erlebte. Pollesch gehört zu den wenigen Regisseuren, die eine ganz eigene neue Theaterform geschaffen haben, deren Grundidee die bühnentaugliche Verbindung von Fernsehunterhaltung und akademischen Diskursen darstellt.
8. April 2017, 21:58
Komplexe, Karikaturen und Collagen
Worum geht’s? Das ist jene Frage, die sich nach Pollesch Stücken generell verbietet. Statt einer Handlung gibt es unzählige Themenkomplexe, statt Personen wilde Karikaturen, statt eines dramatischen Textes Collagen aus philosophischen oder soziologischen Fragmenten. Rene Polleschs Theater der Hysterie hat stets gleichbleibende Komponenten: Kapitalismuskritik, das Nebeneinander von Banalem und Anspruchsvollem, die Trash-Ästhetik und ungeheures Tempo. Birgit Minichmayr mag das: "Es befreit mich von dem Figuren- und Konzeptionstheater und man setzt sich anders damit auseinander, was Theater sein könnte."
Rückgriff auf "Zwei Welten"
Diesmal greift Pollesch auf Richard Sennetts Soziologie-Klassiker „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ aus dem Jahr 1977 zurück, er bedient sich bei Slavoj Zizek, und beim jüngsten Buch des österreichischen Philosophen Robert Pfaller mit dem Titel „Zwei Welten“. "Das ist auch was Pfaller beschreibt: Dass der öffentliche Raum verschwindet und man gemaßregelt wird, dass man sich nicht wie zuhause aufführen soll", so Minichmayr.
Jubel und Applaus
Dem theorielastigen Text setzt Pollesch schrilles Bühnentreiben entgegen, die Höhepunkte sind diesmal ein riesiger Düsenjet, ein Bällebecken im Orchestergraben in dem die Schauspieler baden oder Golf spielen, Gorillamasken und ein Glitzervorhang sowie der ungehemmte Einsatz der Nebelmaschine. Martin Wuttke, Ignaz Kirchner und Birgit Minichmayr kämpfen sich tapfer durch die Textmengen, eine respektvolle Leistung, wenn man bedenkt, dass Minichmayr und Wuttke -erst vor wenigen Tagen an der Berliner Volksbühne -in einer anderen Pollesch Uraufführung ("Glanz und Elend der Kurtisanen") gespielt haben. In Wien sei sie nur Gast, so die Schauspielerin, die vor 2 Jahren zu Martin Kusej ans Münchner Residenztheater gewechselt ist. Minichmayr selbst liebe es frei zu arbeiten und nur abseits eines fixen Ensembles zu kommen, wie sie sagt.
Jubel und langer Applaus beendete die Uraufführung. Wer Pollesch liebt, dem wird’s gefallen, wer nicht, den tröstet die Tatsache, dass das Getöse nach eineinhalb Stunden vorbei ist.