Wagenhofers "Alphabet"

Morgen kommt der jüngste Film von Erwin Wagenhofer in die Kinos: in "Alphabet" setzt sich der engagierte österreichische Dokumentarfilmer mit dem Thema "Bildung" auseinander. Es ist der letzte Teil einer Trilogie, nachdem er sich mit "We feed the World" mit der Nahrungsmittelindustrie und in "Let’s Make Money" mit dem Thema "Geld" beschäftigt hat.

Morgenjournal, 10.10.2013

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Das Buch zum Film ist bei ecowen erschienen.

Alphabet

Der aus Kassel stammende, von der UNESCO anerkannte Pädagoge und Forscher Arno Stern, Jahrgang 1924, hat in einem Pariser Vorort seinen Malort geschaffen, einen geschützten Ort für das "Malspiel". Dort kommen vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene zusammen, um zu malen, wie es ihnen Spaß macht. Jeder auf seine Weise, in seinem Rhythmus, ohne Druck. Mit dieser Freiheit ist auch Arno Sterns Sohn André aufgewachsen: Er hat nie eine Schule besucht, alles - auch lesen und schreiben - hat er sich selbst beigebracht. Heute ist er Gitarrenbaumeister, Musiker; er firmiert auch für die Musik des Films, er ist auch Journalist und Buchautor.

Übrigens hat er, dessen Muttersprache Französisch ist, sich Deutsch auch selbst beigebracht. André Stern ist genau das Gegenbeispiel von einem westlichen Bildungssystem, das Filmemacher Erwin Wagenhofer in "Alphabet" aufs Korn nimmt. Wir sind geprägt von Denkmustern, so Erwin Wagenhofer, die aus der Frühzeit der Industrialisierung stammen. Dabei bräuchte es heute andere, neue Denkschemen.

Im Film kommen unterschiedliche Persönlichkeiten zu Wort. Erwin Wagenhofer begleitet Andreas Schleicher, den deutschen Vater der berühmt-berüchtigten PISA-Studien, nach China, wo die besten Resultate dieser Tests eingefahren werden. Nirgendwo auf der Welt ist der Leistungsdruck, schon im frühen Kindesalter, so stark wie in China. Der Preis: die höchste Selbstmordrate weltweit vor Prüfungen.

Der britische Bildungsexperte Sir Ken Robinson präsentiert eine Langzeitstudie über unangepasstes Denken: Bei einem Test erreichten 98 Prozent der 3- bis 5-Jährigen das Level genial, bis 25 Jahre schrumpft dieser Anteil auf 2 Prozent. Fazit: Alle Menschen haben die Fähigkeit zum Genie, allerdings verkümmert diese. Was alles möglich ist, zeigt auch der Fall eines spanischen Mannes mit Downsyndrom, er hat es trotzdem geschafft, ein Hochschulstudium abzuschließen, und arbeitet als Lehrer.

Am anderen Ende steht der Umgang mit Menschen ohne höheren Schulabschluss: Der Fall eines jungen Arbeitslosen, der keinen Zugang zu einer von ihm gewünschten Ausbildung fand und sich mühevoll mit Gelegenheitsjobs durchschlägt.

"Alphabet" ist ein überaus spannender Film, der diskussionswürdige Fragen stellt. Dieses unser Bildungssystem aufzubrechen sei keineswegs eine Utopie, meint Erwin Wagenhofer resümierend.