Das wahre Gesicht des Kapitalismus
Let's Make Money
Erwin Wagenhofer lässt nach "We Feed the World" über die Machenschaften der globalen Nahrungsmittelindustrie in "Let's Make Money" das Publikum hinter die Kulissen des modernen Kapitalismus blicken. Der Film hat im Rahmen der Viennale seine Uraufführung.
8. April 2017, 21:58
Wenn es nur bloß nicht so zynisch klingen würde: Das Timing könnte nicht besser sein. Mitten im Ausbruch schierer Panik an allen Börsen weltweit wegen der Investment- und Bankenkrise präsentiert Wagenhofer unaufgeregt eine demaskierende Antwort auf die uns alle bewegende Frage: Was geschieht mit unserem Geld, das wir zur Bank bringen oder in Pensionsfonds anlegen? Wer profitiert? Wer zahlt drauf?
Wie schon in seinem Streifen über die Schattenseiten der Nahrungsmittelindustrie, operiert Wagenhofer auch hier mit der gleichen, fast distanziert, aber umso stärker wirkenden Methode, die zu seinem Markenzeichen geworden ist: Er macht Experten und Betroffene ausfindig, begleitet sie auf ihren Wegen und lässt sie ganz einfach erzählen. Alles O-Ton, keine Moderation, keine Fragen - nur Zitate, sehr präzise. Wagenhofer reduziert seine filmischen Möglichkeiten in puncto Dramaturgie freiwillig auf Montage und Schnitt. Erhellend, überraschend, schockierend. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr.
Zu Wort kommen Sieger und Verlierer, aber auch besonnene Mahner. So bringt es Hermann Scheer, Träger des alternativen Nobelpreises und SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, auf den Punkt: "Im neoliberalen Zeitalter ist alles verkürzt auf die aktuelle Erzielung einer höchstmöglichen Rendite, koste es was es wolle!" Wagenhofer liefert dafür Belege und erhält in seiner Beweisführung momentan tagtäglich Unterstützung. Man braucht nur Zeitung zu lesen, Radio zu hören und fernzusehen.
Bittere Pillen
Natürlich deckt Wagenhofer prinzipiell nichts Revolutionäres auf. Er macht aber diesen nebulosen Verdacht, den wir alle haben, zu kristallklarer Gewissheit; ja es sind die Protagonisten des Films selbst, wie etwa ein deutscher Banker, der sein Auto durch den Verkehr lenkt und dabei beiläufig im Plauderton den vielsagenden Satz fallen lässt: "Eigentlich sind unsere Banken gar keine Banken mehr, sondern organisierte Spieler."
Weniger selbsteinsichtig ist da Mark Mobius, Präsident von Templeton Emerging Markets Funds in Singapur. Das Business ist so, wie es eben ist. Man sucht sich ein Land, in dem man als Firma keine oder wenig Steuern zahlt, das sollen gefälligst die Angestellten tun. Und Mitleid oder Empathie ist auch nicht angesagt: "The best time to buy is when there is blood on the streets." Vollmundige, zynische Zitate von Investmentbankern, die momentan nicht einmal kleinlaut geworden, sondern komplett auf Tauchstation gegangen sind.
Apropos Tauchstation. Gehen Sie ruhig davon aus, dass Investoren Ihr Geld, das Sie in irgendeinem Fond geparkt haben, gewinnbringend in einem der Steuerparadiese anlegen - ob für Sie persönlich, ist fraglich. "Jersey ist der perfekte Platz für Menschen, die Geld verstecken wollen", erzählt etwa ein Insider. Und Terry Le Sueur, Schatzkanzler der Inselgruppe, ist auch besonders stolz darauf, man biete immerhin die weltweit beste "Dienstleistung" in dieser Hinsicht an.
... mehr privat?
Dass der Staat für Investoren - zumindest in prosperierenden Zeiten - oft nur ein Hindernis darstellt, darf man auch mutmaßen, wenn man Mirko Kovats, dem österreichischen Vorstandsvorsitzenden des Mischkonzerns A-Tec Industries, bei einem Besuch eines Stahlwerkes in Indien zuhört: "Hier schreit keiner nach dem Staat, hier ist Selbsthilfe angesagt."
Die Kritik an dem Streifen wird freilich nicht lange auf sich warten lasen. Natürlich ist Wagenhofer nicht unvoreingenommen, natürlich ergreift er Partei. Aber er bleibt doch stets der Wahrheit verpflichtet. Allenfalls kann man ihm unterstellen, durch radikale Schnitte oder Szenenwechsel zu polemisieren, doch: So darben die Inder in den Slums im Schatten der Wolkenkratzer wirklich, und so verzweifelt sind die Land- und Minenarbeiter in Burkina Faso, dem Armenhaus des Planeten, tatsächlich. Was Wagenhofer zeigt, ist echt und hat Bestand.
Mit "Let's Make Money" ist wieder einmal der Beweis erbracht, dass ein Dokumentarfilm absolut kinotauglich und genauso spannend wie ein Thriller sein kann, mit einem Unterschied: Das hier ist das echte Leben, aus dem Plot kann keiner entfliehen.
Bei der Viennale wird Wagenhofer "Let's Make Money" am 28. Oktober zur Uraufführung bringen, Österreich-Premiere ist wenige Tage später, am 31.Oktober. Das ist der Weltspartag, wie passend.
Mehr dazu im Interview mit Erwin Wagenhofer in oe1.ORF.at
Mehr zur Viennale in viennale.ORF.at
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