Eine Warnung vor dem Silicon Valley
Smarte Neue Welt
In seinem neuen Buch "Smarte Neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen" nimmt Evgeny Morozov die Philosophie der Vordenker von Google, Apple und Facebook unter die Lupe.
8. April 2017, 21:58
Morozov hinterfragt die schöne, neue Digitalwelt – und unseren Glauben an sie.
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Wir halten das Internet für unverzichtbar und machen einen Fetisch daraus. Und wir bilden uns ein, wir könnten nach seinem Vorbild unsere Gesellschaft reformieren. Ich möchte Bürgern zeigen, dass man auch anders Politik machen kann. Und ich will verhindern, dass sie dem Glanz und der Raffinesse der technologischen Möglichkeiten erliegen, die Unternehmen im Silicon Valley erschaffen haben.
Evgeny Morozov warnt in seinem Buch nicht etwa, indem er die Vorstellungen der "Internet-Zentristen" über unsere Zukunft ad absurdum führt.
Im Gegenteil zeigt er vielmehr, wie unsere Welt aussehen würde, sollten die Vorstellungen der "Gigs", wie er die digitalen Vordenker im Silicon Valley nennt, Wirklichkeit werden. Im Jahr 2020 überwacht dann digitale Technik alle Lebensbereiche.
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Zu versuchen, Probleme wie Übergewicht und Klimawandel mit Apps zu lösen, ist sehr einfach. Man stattet uns Bürger mit Smartphones aus, die überwachen, was wir tun: wie viel Sport wir treiben, wie viel wir essen, und was wir essen. In den USA gibt es bereits eine sehr aktive Bewegung, die sich "Das quantifizierte Selbst" nennt.
Möglich wird dies mittels Mikro-Sensoren, die aus einem unbelebten Gegenstand ein "smartes” Gerät machen. Wie zum Beispiel die Idee einer intelligenten Überwachungskamera für den Mülleimer.
Jedes Mal, schreibt Evgeny Morozov, wenn jemand den Mülleimer öffnet, macht die Kamera ein Bild, überträgt es an eine Firma, dort wird analysiert, ob man seinen Müll richtig getrennt hat. Danach werden Punkte vergeben und man wird in sozialen Netzwerken bewertet.
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Man kann tatsächlich Menschen nun dazu bringen, ihren Müll zu trennen, weil sie ihre Freunde beeindrucken oder virtuelle Punkte verdienen wollen – und nicht weil sie ein Bewusstsein für Ökologie haben. Das ist ein neues Verständnis von Motivation und auch von Bürgerschaft. Wir denken dann nicht mehr über die politischen Dimensionen unseres Handelns nach. Auch nicht darüber, warum wir die Dinge tun, die wir tun, und wie sie miteinander zusammenhängen.
Internet-Apologeten übersehen laut Morozov diese Komplexität unserer Lebenswelt immer wieder. Wir sollten, argumentiert er, nicht die Logik eines Videospiels auf unser Leben anwenden. Nicht alles, was machbar ist, sei auch sinnvoll.
Den Glauben an einfache technische Lösungen für alles bezeichnet er als "Solutionismus". Abgeleitet vom englischen Wort für Lösung: "solution". Und er kritisiert, dass auch die politischen Entscheidungsträger nur allzu gern auf dieses Pferd der schnellen Machbarkeit setzten.
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Die Regierung lagert die Problemlösung auf ihre Bürger aus. Sie sollen nun die Probleme angehen, indem sie ihr Verhalten ändern - anstatt herzugehen und das System selbst zu reformieren. All die ambitionierteren Reformprojekte müssen plötzlich diesen strahlenderen Technologie gesteuerten neuen Methoden weichen. Die den Politikern Beliebtheitspunkte einbringen, weil sie dadurch technologiefreundlich wirken. Aber so ändern wir nur sehr triviale Aspekte des Problems. Und wir packen seine grundlegenden Ursachen nicht an.
Diese Simplifizierung beginnt für Morozov schon beim "Internet" selbst. Denn, so seine zentrale These: Ein Internet als geschlossene, kohärente Einheit, als ein Netz, das mit einer einzigen Stimme spreche, gebe es gar nicht.
Morozov schreibt deshalb in seinem Buch "das" Internet durchgehend in Anführungszeichen. Es sei immer nur die Momentaufnahme der sich beständig wandelnden virtuellen Präsenz verschiedenster Interessensgruppen.
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Wir sind inzwischen so weit, dass alle unsere Freunde, auch die aus den sozialen Netzwerken, uns virtuell überallhin folgen können. In den USA gibt es eine App namens SeeSaw. Wenn man etwas kaufen will - ein Kleid zum Bespiel oder einen Fernseher – kann man über diese App auf seinem Smartphone eine Art Quizspiel generieren – und auf diese Art alle seine Facebook-Freunde fragen, für welches Kleid oder welchen Fernseher man sich entscheiden soll. Man bekommt sofort Rückmeldung – und kauft dann das Modell, für das die Mehrheit gestimmt hat.
Morozov nennt diese neue Spielart der digitalen sozialen Kontrolle die "Tyrannei des Sozialen". Verloren ginge dabei die Individualität, es regiere Konformismus und Mainstream. Für Wirtschaft und Politik, spinnt der Autor den Faden weiter, wären derart gleich geschaltete Menschen leicht zu manipulieren.
Sich selbst versteht Morozov als Schrittmacher eines alternativen Internet-Diskurses – auch in Europa. Zwar sei die Technikgläubigkeit etwa im deutschsprachigen Raum wesentlich weniger ausgeprägt als in den USA. Dennoch ist er überzeugt, auch hier zur Debatte beitragen zu können.
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Internet-Kritik erschöpft sich im deutschsprachigen Raum meist in Kulturkritik. Man kritisiert, dass Twitter und all diese Erscheinungen unsere Zivilisation zerstören würden. Ich will mich in solchen Kulturpessimismus nicht einreihen. In meinen Augen sollte Technologiekritik vor allem eine Kritik des dahinter stehenden politischen und wirtschaftlichen Systems sein.
Evgeny Morozov entwickelt seine Argumentation gegen den absoluten Technikglauben auf fast 600 Seiten mit Referenz auf eine Vielzahl von Studien und Artikeln. Stets schreibt er mit Leidenschaft, die vielen Details erschweren mitunter jedoch, den Überblick zu behalten.
Im letzten Kapitel beschreibt Morozov, wie Technik seiner Ansicht nach in Zukunft eine positive Rolle spielen könnte. Technik, konstatiert der Autor, sollte uns nicht durch ihr reibungsloses Funktionieren eine heile Welt vorgaukeln, sondern sollte stören und irritieren. Wie etwa ein Radio, das sich automatisch abschaltet, sobald man in seiner Wohnung ein Gerät anmacht, das besonders viel Strom verbraucht.
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Design ist eine der möglichen Lösungen, wie man Bürger dafür sensibilisieren kann, dass technische Geräte nur die Endpunkte eines Netzwerks sind wie auch von komplexen politischen und sozialen Zusammenhängen. Bürger müssen diese ganzheitliche Sichtweise entwickeln, wie diese Systeme funktionieren. Und das kann mit technologischen Produkten gelingen, die so konzipiert sind, dass sie die Menschen überraschen oder neugierig machen.
Nur mit unorthodoxen Maßnahmen, so Evgeny Morozovs Fazit, könnten wir eine Zukunft Made in Silicon Valley aufhalten. Und verhindern, dass wir die Kontrolle über unser Leben aus der Hand geben und Maschinen überantworten.
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Politik wird es dann nicht mehr geben. Politik in dem Sinn, dass Bürger sich engagieren und darüber debattieren, was zu tun ist. Sollten die Gigs, die Netzvordenker gewinnen, würde dies automatisch entschieden – auf Basis irgendeines Optimierungsalgorithmus.