Ein Land zwischen Krieg und Frieden
Kolumbien am Scheideweg
In seinem aktuellen Buch beschäftigt sich der Kolumbien-Kenner Werner Hörtner mit dem Paramilitarismus in Kolumbien.
8. April 2017, 21:58
Wäre Werner Hörtner ein kolumbianischer Autor, dann sollte er sich jetzt besser Leibwächter zulegen. Kritische Journalisten und Menschenrechtsaktivisten leben gefährlich in dem südamerikanischen Land -
insbesondere dann, wenn sie Nachforschungen betreiben zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, in die hohe Militärs, mächtige Paramilitärs oder gar jemand aus dem Umkreis des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez verwickelt waren. Der Österreicher Werner Hörtner muss sich kein Blatt vor den Mund nehmen:
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Für Uribe, das Staatsoberhaupt, den Oberkommandierenden der Streitkräfte, spielte die Frage der Gesetzmäßigkeit der Mittel nie eine Rolle. Zahlreiche Skandale untermauern diese Feststellung. In den acht Jahren seiner beiden Präsidentschaften etablierte sich in Kolumbien eine Kultur des todo vale: Der Zweck heiligt die Mittel. (...) Álvaro Uribe baute in den acht Jahren seiner Präsidentschaft ein ungeheures, raffiniertes und oft auch waghalsiges Lügengebäude auf. Die Konstruktion bekam zwar immer wieder einmal Risse, Teile davon fielen in sich zusammen, doch das Staatsoberhaupt aktivierte jedes Mal aufs Neue seine berühmt gewordene Fähigkeit, unversehrt aus den Trümmern aufzustehen, den Staub abzuschütteln und zur normalen Tagesordnung überzugehen.
Der wohl umstrittenste Präsident Kolumbiens - Álvaro Uribe Vélez - regierte das Land von 2002 bis 2010. Werner Hörtner berichtet detailliert über enge Verbindungen Uribes zu kolumbianischen Drogenkartellen sowie zu rechten Paramilitärs. Ins Leben gerufen wurden diese paramilitärischen Gruppen zunächst von konservativen Viehzüchtern und Drogenbaronen, um sich gegen Überfälle durch die linke Guerilla zu wehren.
Als 1982 ein Guerillakommando die Tochter eines Drogenbarons aus Medellín entführte, platzte diesem der Kragen. Anstatt Lösegeld zu bezahlen, lud er 200 führende Häupter der Landoligarchie zu einem Treffen. Dort wurde beschlossen, bewaffnete Gruppen zur Selbstverteidigung zu gründen.
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Am späten Nachmittag des 2. Dezember 1981 flatterte aus einem Flugzeug eine Wolke von Zetteln auf das mit Tausenden Fans gefüllte Fußballstadion Pascal Guerrero in Cali. Der Text war mit "Kommuniqué an die gewöhnlichen und an die subversiven Entführer" betitelt und kündigte den Beginn der "Hinrichtung" der Missetäter an, also der Entführer. Gezeichnet: "MAS, Muerte a los Secuestradores". In elf Punkten wurde den Entführern ein gnadenloser Kampf angekündigt.
Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Regierung, Großgrundbesitzer und Drogenbarone werden vereint durch ihre gemeinsamen Gegner: die linke Guerilla, Gewerkschaften, soziale Bewegungen.
Werner Hörtner bezeichnet diese Allianz von Regierung und Paramilitärs als die "vereinten dunklen Kräfte" und er spricht von "Outsourcing" der politischen Verfolgung. Die Regierung will sich nicht selbst die Hände schmutzig machen. Paramilitärs ermorden Oppositionelle und begehen Massaker an Kleinbauern, die im Verdacht stehen, die Guerilla zu unterstützen.
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Die strukturelle Zusammenarbeit zwischen Teilen der Armee und den Paramilitärs war schon spätestens seit 1983, seit dem ersten Untersuchungsbericht der Generalstaatsanwaltschaft im Auftrag von Präsident Betancur, auch der Öffentlichkeit bekannt. Dennoch hat kein Staatschef (...) ernsthafte Anstrengungen unternommen, diese unheilige Allianz aufzubrechen.
Werner Hörtner ist ein Urgestein der Lateinamerika-Solidaritätsbewegung in Österreich. Er war aktiv am Aufbau von Solidaritätsvereinen und Lateinamerika-Zeitschriften beteiligt. Seit den frühen 1970er Jahren reist er regelmäßig nach Kolumbien. Er wanderte tagelang durch den Urwald zum Hauptquartier der Guerilla-Führer, begleitete Menschenrechtskommissionen bei der Suche nach geheimen Massengräbern und besuchte die indigene Volksgruppe der Nasa.
Im Juli 2012 hatten kolumbianische Tageszeitungen dramatische Bilder gezeigt, auf denen Vertreter der Nasa weinende Soldaten wegtrugen:
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"Die haben doch wegen der Tränengasgranaten geweint, die sie selbst verschossen haben, und nicht weil sie sich schämten", lacht Arquímedes Vitonás Noscué, der ehemalige Bürgermeister von Toribío, einer Kleinstadt im Departement Cauca. Und er erzählt, wie Hunderte Frauen und Männer aus Toribío wütend auf den Berg gestiegen sind, die Soldaten in der Militärbasis gepackt und schlicht und einfach aus dem Lager getragen haben. Sie wollten damit deutlich machen, dass sie keine bewaffneten Einheiten in ihrem Stammesgebiet akzeptierten, ganz egal, von welcher Seite diese kamen.
"Kolumbien am Scheideweg" ist jedoch keine Sammlung persönlicher Anekdoten - auch wenn der Autor viele davon zu erzählen hätte. Werner Hörtner zeigt sich bescheiden als Chronist im Hintergrund. Akribisch und detailreich hat er Fakten gesammelt, Dokumente ausgegraben, Gespräche geführt.
Gespräche führt auch die kolumbianische Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos. Seit einem Jahr verhandelt sie mit der Guerilla ein Friedensabkommen. Werner Hörtner ist grundsätzlich optimistisch, dass tatsächlich ein Frieden zustande kommt. Allerdings fragt er sich: zu welchem Preis? Weder die Guerillaführer, noch die Armee-Offiziere und auch nicht die Paramilitärs möchten nach einem Friedensschluss für ihre Untaten im Gefängnis landen.
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Wie viel Wahrheit und Gerechtigkeit kann man nun opfern, um das Gelingen eines Friedensprozesses nicht von vornherein zu gefährden? Mit anderen Worten: Welche Legitimität und Glaubwürdigkeit hat ein Friedensabkommen, das auf der Straflosigkeit von schweren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen das Völkerrecht gründet?
Service
Werner Hörtner, "Kolumbien am Scheideweg. Ein Land zwischen Krieg und Frieden", Rotpunktverlag