"Geistig abnorm": Verstoß gegen Menschenrechte?
Jeder zehnte Häftling in Österreich ist als "geistig abnormer Rechtsbrecher" eingestuft und muss deshalb oft jahrzehntelang im Gefängnis sitzen. Dabei haben viele der Betroffenen gar keine schweren Straftaten begangen. Zahlreiche Experten halten die Gesetzesregeln in Österreich für menschenrechtswidrig.
8. April 2017, 21:58
Zahl verdoppelt
Manche Rechtsexperten sprechen von einem Zeitgeist des Wegsperrens in der Vollkasko-Gesellschaft, Menschen würden sicherheitshalber aber teils zu Unrecht weggesperrt, um nur ja kein Risiko einzugehen. Rund 900 Betroffene gibt es, die mit dem längst überholten Begriffen „geistig abnorm“ bedacht als psychisch krank oder rückfallsgefährdet oder meist psychisch krank in Anstalten und Gefängnissen untergebracht sind. In den vergangenen 12 Jahren hat sich ihre Zahl verdoppelt, sagt Katharina Rueprecht, Tagungsveranstalterin, Buchautorin und pensionierte Anwältin: es genüge eine Verurteilung zu 6 Monaten Haft, um in den Maßnahmenvollzug zu geraten, wo man 10 Jahre bleibe.
Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer: eine gefährliche Drohung mit dem Tod sei ein hinreichendes Anlassdelikt, wo eine kurze Strafe verhängt und eine sehr lange vorbeugende Maßnahme das Ergebnis sei. Und Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak meint, der derzeitige Maßnahmenvollzug in Österreich sei menschenrechts- und verfassungswidrdig.
Massive Kritik gibt es auch an so manchen psychiatrischen Gutachtern und ihren womöglich übervorsichtigen Gutachten bei der Gefährlichkeitseinschätzung. Katharina Rueprecht erzählt von einem Gutachter, der einen im Rollstuhl sitzenden Häftling als gefährlich eingestuft hat, weil er noch Drohungen ausstoßen könne.
Und ein Betroffener, der wegen einer allerdings schweren Straftat 22 Jahre gesessen ist, erzählt über einen Gutachter, er sei nach fünf Minuten mit drei Leuten fertig gewesen.
Und zumindest in einigen Gerichtssprengeln werden die Betroffenen im Maßnahmenvollzug offenbar nur alle 2 Jahre gerichtlich angehört, um zu überprüfen, ob man sie mittlerweile doch freilassen könnte. Massiv kritisiert wird auch die medikamentöse Zwangsbehandlung, das Niederspritzen von Betroffen, angeblich oft nur weil sie den Ärzten und Wärtern lästig seien. Auch im Justizministerium sieht man die Probleme, speziell weil psychisch kranke Menschen in Haftanstalten statt in Kliniken untergebracht werden. Karin Dotter-Schiller, stellvertretende Leiterin der Strafvollzugsabteilung sagt, seit Jahrzehnten werde um Änderungen ersucht, es sei aber eine Budgetfrage.
Die bisherige Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) hat in letzter Zeit angekündigt, es könnte eine Reform geben - im Laufe der neuen Legislaturperiode.