Carlos Schulers Familienleben im Krieg
Leben und Überleben im Kongo
Der Schweizer Carlos Schuler lebt – trotz Völkermord und Krieg - seit 1988 in Bukavu, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu. In seiner Autobiografie beschreibt der ehemalige Naturschützer nun sein "Leben und Überleben im Kongo. Gorillaschutz und Familienleben im Krieg". Und übt scharfe Kritik an der internationalen Politik.
8. April 2017, 21:58
Der Krieg, von dem Carlos Schuler berichtet, umfasst einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, in denen die Demokratische Republik Kongo von insgesamt drei Kriegen verwüstet wurde. Der erste Kongokrieg brach 1996 aus. Damals heißt das Land noch Zaire. Carlos Schuler lebt schon beinahe zehn Jahre dort. Fast so lang ist er mit seiner belgisch-kongolesischen Frau Christine verheiratet, ihre beiden Kinder David und Sarah sind neun und sieben Jahre alt. Aus Neugierde hatte der gebürtige Schweizer einen Landsmann in der Provinzhauptstadt Bukavu besucht – und war hängen geblieben.
Schutz der Gorillas
Lebenslustig, abenteuerlustig, oft ein bisschen frech, mutig, lustig, unterhaltsam, "er war auch immer ein bisschen übermütig". So beschreibt Erich Herger im Buch seinen Jugendfreund, der damals, in den 1960er Jahren, noch Karl Schuler hieß. Oder Kari, wie ihn Freunde nannten - oder Coco, nach einem Song der Popband Sweet, den er immer beim Après-Ski sang.
Carlos nennt Schuler sich seit der Zeit, als er sich in Spanien als Surflehrer verdingte. Im Winter arbeitete der gelernte Schriftsetzer in Arosa als Skilehrer. So finanzierte er seine Reisen nach Asien, Afrika und Südamerika. In seinem Schweizer Heimatdorf Bürglen im Kanton Uri soll auch der Nationalheld Wilhelm Tell geboren sein. Schuler selbst stammt aus einer katholischen Arbeiterfamilie und hat neun Geschwister. Im Kongo findet er ähnlich vertraute Familienbande. Schwiegervater Adrien Deschryver, der aus einer belgischen Kolonialfamilie stammt, hatte 1970 den Kahuzi-Biéga-Nationalpark gegründet.
"Wir haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden", sagt Schuler. "Meine Frau war ein Kind, als sie die ersten Gorilla-Babys auf den Armen hielt" und daher war ihm klar, dass er den Nationalpark erhalten wollte.
Opfer und Täter aus Ruanda
Zwei Jahre nach dem Tod von Adrien Deschryver übernimmt Carlos Schuler 1991 im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit die Verantwortung für den Schutz der Flachlandgorillas im Nationalpark. Derweil wächst der Widerstand gegen den despotisch regierenden Präsidenten Mobutu in der 1.500 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa.
Auch in Bukavu kommt es zu Plünderungen. Dann, 1994, der Völkermord im benachbarten Ruanda. Carlos Schuler wird Augenzeuge, wie rund zwei Millionen Flüchtlinge über die Grenze in den Ost-Kongo strömen. Unter ihnen Zehntausende der am Genozid Beteiligten. Die UN-Blauhelme, schreibt er im Buch, hätten mit Kalaschnikows Bewaffneten ungehindert passieren lassen.
"Da kann er dann in Freiheit die Frauen vergewaltigen und sein Unwesen weiter treiben", empört sich Schuler, "und die internationale politische Ebene hat sich sehr wenig darum gekümmert".
"Zu harte" Fotos
Mit großer Liebe zu seiner Wahlheimat und den Menschen dort schildert Carlos Schuler, was folgte: drei Kongokriege mit schätzungsweise fünf Millionen Toten. Aufgrund der Verwicklung zahlreicher Nachbarstaaten wird der zweite Kongokrieg auch "der afrikanische Weltkrieg" genannt. Alle Hilfsorganisationen verlassen das Land, Ehefrau Christine flüchtet mit den beiden Kindern in die Schweiz. Carlos Schuler bleibt.
Es gelingt ihm, die Gorillas im Kahuzi-Biéga-Nationalpark vor der Ausrottung zu bewahren. Gemeinsam mit den einheimischen Parkwächtern kann er zudem für das World Food Programm Tonnen von Lebensmitteln an die Bevölkerung verteilen. Die Menschen hungern, obwohl der Kongo bzw. das ehemalige Zaire eines der an Bodenschätzen reichsten Länder der Erde ist.
Carlos Schuler habe begriffen, meint er, dass es sich bei den Kämpfen nicht wie nach der offiziellen Lesart um "Bürgerkriege" handelt: "Es sind Plünderungskriege."
Mit dem Mut der Verzweiflung hält Carlos Schuler seine Beobachtungen mit der Kamera fest. Nach Massakern an der Bevölkerung fotografiert er Leichen, Verstümmelte und Knochengräber. Und schickt die Fotos an Medien in Europa. "Und dann sagen sie mir: 'Diese Fotos bitte nicht mehr! Sie sind zu hart.'", erzählt Schuler. "Das ist auch ein Schutzmechanismus. Aber für uns bedeutet das, wir können eigentlich gar nicht mehr zählen, was wirklich passiert. Wenn man sieht, wie die Frauen vergewaltigt werden - sie werden ja nicht vergewaltigt, sie werden zerstört, dass selbst mit den kompliziertesten Operationen diese Frauen nie mehr im Leben ihre Gesundheit finden."
Persönliche Beiträge
Aus den Tausenden von Fotos hat Jugendfreund Erich Herger gut hundert Fotos für das Buch ausgewählt, der ehemalige Chefredakteur des "Urner Wochenblatts" hat es lektoriert und verlegt. Schulers Frau und die beiden inzwischen erwachsenen Kinder steuern sehr persönliche und bewegende Artikel bei. Auch für sie, die er während der Kriegsjahre oft im Schweizer oder belgischen Exil zurückließ, hat Carlos Schuler sein Buch geschrieben.
"Ich bin nicht immer stolz, was ich gemacht habe gegenüber den Kindern, als ich wieder in den Krieg ging", so Schuler. "Heute sind die Kinder stolz auf die Mutter, auf den Vater. Die wissen genau heute, was für Situationen wir erlebt haben."
Ressourcenplünderer Industrieländer
In Bukavu betreibt Carlos Schuler inzwischen die "Lodge Coco", eine Pizzeria mit Fremdenzimmern, in der sich die deutschsprachige Exilgemeinde zum Stammtisch trifft. Ehefrau Christine leitet "City of Joy", ein Zentrum für vergewaltigte Frauen. Gemeinsam hat das Ehepaar in der Schweiz den Verein "Hilfe für Kongo-Kivu" ins Leben gerufen. Warum es bis heute noch keinen Frieden im Ost-Kongo gibt, steht für Carlos Schuler fest: "Es geht um die natürlichen Ressourcen im Kongo."
Was zu belgischen Kolonialzeiten Kautschuk und Elfenbein, sind seiner Ansicht nach heute Mineralien wie Zinn und Coltan, die für die Produktion von Mobiltelefonen und Laptops benötigt werden. Die bewaffneten Milizen im Kongo eignen sich die Rohstoffe durch Raubzüge an und finanzieren so ihre Waffen.
"Es geht alles raus, was eigentlich dem eigenen Land dienen sollte, für den Aufbau und für die Entwicklung", sagt Schuler. "Wer profitiert von diesen Schmugglereien? Wo werden die Handys hergestellt? Wo werden die Chips hergestellt? China produziert heute 50 Prozent von den Handys weltweit. Was macht Europa? Wer profitiert? Die Industrieländer."
Carlos Schuler will mit seinem Buch deshalb auch die Leser und Leserinnen für die Mitverantwortung Europas sensibilisieren. Was der Kongo seiner Ansicht nach bräuchte, wäre Aufbauhilfe in der Art des Marshall-Plans nach dem Zweiten Weltkrieg, zum Wiederaufbau der rund 140.000 Kilometer Straßen, die durch die Kriege zerstört worden sind. Und für ein funktionierendes Energienetz. "Hätten wir im Kongo Straßen, Energie, würden die natürlichen Ressourcen im Kongo verarbeitet", so Schuler. "Dann hätte auch die kongolesische Jugend eine Zukunft - vielleicht für nachhaltige Arbeit im eigenen Lande."
Service
Carlos Schuler, "Leben und Überleben im Kongo. Gorillaschutz und Familienleben im Krieg", BfT Verlag