Umstrittener Boom bei Sachwalterschaften
Rund 60.000 Menschen mit Behinderung, Demenz oder psychischer Erkrankung haben einen Sachwalter. Das sind um fast 30 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Nach Kritik von Behinderten- und Seniorenvertretern findet nun auch das Justizministerium, es sollte weniger Sachwalterschaften geben. Bei einer Justiz-Tagung in Salzburg wird heute erstmals gemeinsam mit Betroffenen über Alternativen diskutiert.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 11.12.2013
"Weil es praktisch ist"
Sachwalter sind zwar als Helfer gedacht. Viele Betroffene nehmen es heute aber noch als Entmündigung wahr, wenn ihnen für ihre Rechtsgeschäfte ein Anwalt, Sozialarbeiter oder Verwandter zur Seite gestellt wird. Und Peter Barth, Familienabteilungsleiter im Justizministerium formuliert kritisch: "Die Sachwalterschaft sollte wirklich das letzte Mittel sein. Jetzt ist sie oft das erste Mittel." Und woher kommt der Anstieg von 28 Prozent bei Sachwalterschaften innerhalb von nur fünf Jahren? Barth: "Weil es halt einfach sehr praktisch ist. Als Bank, Sozialversicherungsträger oder Heim hat man einen rechtlich verlässlichen Partner, wo die Verträge gültig sind. Und das verführt halt dazu dass viele Menschen einen Sachwalter bekommen, die ihn gar nicht unbedingt bräuchten."
Erstmals bei einer Justiztagung kommen heute auch Behinderten-Selbstvertreter als Referenten zu Wort - etwa Erich Girlek, ein Betroffener mit Lernschwierigkeit, wie er sagt. Ihn stört, dass Behörden und Institutionen offenbar jeden Fehler, jedes Risiko ausschalten durch Sachwalterschaften wollen. Justiz-Abteilungsleiter Barth sieht es besonders kritisch, dass betagte, behinderte oder psychisch kranke Menschen oft deshalb "besachwaltet" werden, weil sie für Sozialleistungen der Länder Anträge stellen müssen - etwa auf Pflegegeld oder Behindertenhilfe: "Die Formulare sind recht umfangreich. Und die Behörden regen dann oft auch die Sachwalterschaften an." Statt komplizierte Antragsformulare zu verteilen, sollten die Landesbehörden am besten selbst prüfen, wer welche Unterstützung braucht - ohne Antrag, sagt Barth.
Gesetzliche Verpflichtung
Aber das wäre eine Bevormundung und würde der Behindertenrechtskonvention und österreichischen Bundesgesetzen widersprechen, sagt Ländervertreter Peter Hacker vom Fonds Soziales Wien: "Wir können als Sozialbehörde nicht mehr nach dem alten Fürsorgegedanken, der schon seit vielen Jahrzehnten tot ist, selbstständig entscheiden." Sondern, man müsse und wolle Menschen mit Einschränkungen als selbstentscheidungsfähige Kunden sehen. Deshalb die Anträge, so Hacker:" Wir sind verpflichtet, per österreichischem Gesetz, beidseitig gültige Verträge zu unterzeichnen. Das geht nur mit Menschen, die voll entscheidungsfähig sind. Und wenn nicht, dann braucht es eine Sachwalterschaft."
Dass es immer mehr Sachwalterschaften gibt, könnte demnach ausgerechnet damit zusammenhängen, dass man Menschen mit Behinderung ein selbständigeres Leben ermöglichen möchte. Freilich: Neue Formen der unterstützten Entscheidungsfindung oder auch einfachere Formulare oder mehr Hilfe beim Ausfüllen könnte die Situation der Betroffenen wohl verbessern.