Weihnachtliches Wichteln
Alle Jahre wieder kurz vor Weihnachten herrscht dicke Luft in den Klein- und Großraumbüros des Landes. Das liegt nicht etwa an überheizten, schlecht gelüfteten Räumen. Denn selbst in den zugigen Co-Working Spaces, den lässigen Bürogemeinschaften der Kreativen, bekommt die demonstrative Waldorfschulen-Harmonie leichte Risse.
8. April 2017, 21:58
Grund für die allgemeine Überreizung ist der anstehende Jahresabschluss, das hektische Abarbeiten von allem Liegengelassenen rechtzeitig vor den Ferien. Gepaart mit chronischem Lichtmangel und familiären Vorweihnachtsstress ergibt das eine durchaus explosive Mischung. Der letzte Urlaub liegt auch schon lange zurück und so kann es schon vorkommen, dass das obligatorische "Mahlzeit" in der stillsten Zeit des Jahres klingt wie ein unverhohlenes "Du mich auch!".
Genau mitten in dieser sensiblen Phase der angestrengten Selbstkontrolle erinnern sich Kollegen, die es "gut meinen" an einen besonders perfiden Brauch vorweihnachtlicher Unternehmenskultur: "Engel Bengel" oder auch "Wichteln", die Ausdrücke variieren je nach Bundesland. Gemeint ist jedoch stets dasselbe Prozedere: Man zieht im Geheimen den Namen eines Kollegen aus einer Schüssel, den man dann im Zuge der firmeninternen Weihnachtsfeier mit einem kleinen Präsent beschenken darf. So weit, so folgenschwer.
Da hat man sich über Jahre hinweg unausgesprochen darauf geeinigt, sich gegenseitig nicht allzu viel Privates zu erzählen, Schicksalsschläge und freudige Ereignisse für sich zu behalten und nicht mehr mit dem Büronachbarn zu teilen als das Feuer für den Pausentschick. Und jetzt das. Plötzlich soll man sich - vor aller Augen - so etwas Intimes wie ein Weihnachtsgeschenk überreichen und damit öffentlich zugeben, was insgeheim ohnehin jeder wusste: Man kennt sich trotz jahrzehntelanger Zusammenarbeit eigentlich kaum. Mehr noch: man hat sich auch nie darum bemüht, sich kennenzulernen.
Weil man das aber nicht so elegant wie bei einer Ruhestandsfeier lösen kann - ein Brötchen verdrücken, eine letzte Flasche Billigsekt und ein "Adieu!" für immer - artet das gut gemeinte, lustige Spiel in richtigen Stress aus. Man will ja neben ahnungslos nicht auch noch taktlos sein, dezente Hinweise auf schütteren Haarwuchs in Form eines Kapperls oder Diät-Kochbücher für etwas beleibtere Kollegen scheiden also aus. Lebensratgeber sind nichts anderes als der bunt verpackte Hinweis auf psychische Auffälligkeiten, selbst wenn Chris Lohner harmlos vom Cover lächelt. Und bloß nichts Selbstgebasteltes oder Selbstgemaltes überreichen. Am Ende beschließt der Kollege noch, das mit viel Liebe Fabrizierte im gemeinsamen Büroraum aufzuhängen und dann muss man sich das scheußliche Ding zumindest bis zum nächsten Zimmerbrand tagtäglich anschauen.
Auch das Weiterschenken von unnützen Präsenten aus dem eigenen Ramsch-Fundus empfiehlt sich nicht. Zu groß ist das Risiko, dass derjenige, der einem einst den Brieföffner in Käferform oder die neongrüne Lavalampe überreicht hat, unter den Anwesenden ist und mitansehen muss, wie man den Schrott - womöglich noch in Originalverpackung - erleichtert weitergibt.
Kerzenständer in anzüglicher Gussform können ebenso Gefühle verletzen wie die zentnerschwere Bonbonniere dem zuckerkranken Kollegen das letzte Weihnachtsfest bescheren könnte. Und was tun, wenn man nun den Chef erwischt? Eine teure Flasche Wein könnte signalisieren, dass man ihn für einen Trinker hält und ein Kisterl Zigarren als Anspielung auf seinen allzu amikalen Umgang mit Praktikantinnen verstanden werden. Letzten Endes bleibt nur ein Last-Minute-Geschenk vom Wühltisch und die Hoffnung, dass man ihm im Vergleich zu den anderen Packerln, die während der Firmenweihnachtsfeier den Besitzer wechseln, die Verzweiflung nicht allzu sehr ansieht. Den Rest erledigt ohnehin der Diskonter-Punsch aus dem Tetrapack und das Hochgefühl, dass am Tag darauf die Ferien beginnen und man die lieben Kollegen die nächsten 14 Tage nicht zu Gesicht bekommt.