Zum 100. Jahrestag seines Verschwindens

Ambrose Bierce

Ambrose Bierce war seiner Zeit als zynischer Journalist und Chronist einer gierigen und geistlosen Zeit weit voraus. Immer noch zutreffend, sarkastisch natürlich und durch und durch zynisch sind seine berühmt-berüchtigten Definitionen im "Wörterbuch des Teufels", einer Sammlung von Aphorismen, die überall verstreut zwischen 1881 und 1906 in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften in den USA veröffentlicht wurden.

1913 machte sich der 71-jährige Ambrose Bierce von Washington aus auf den Weg Richtung Mexiko. Er hatte wohl die Nase voll vom Leben eines Hauptstadtjournalisten und wollte dahin, wo etwas los war. In Mexiko war viel los, da tobte die Revolution und General Pancho Villa war der schneidige und berüchtigte Revolutionsführer, dem sich "Bitter Bierce" locker anschloss.

Dann verlieren sich die Spuren des Berufszynikers. Bierce wurde noch einmal in der Stadt Durango gesehen und verschwand dann einfach "in den Wirren des mexikanischen Bürgerkrieges", wie es immer hieß. Wahrscheinlich ist er in einem Scharmützel gefallen. Sein letztes Lebenszeichen war ein Brief vom 26.12.1913. Dort schrieb er lakonisch: "Was mich betrifft, so verlasse ich morgen diesen Ort mit unbekanntem Ziel." Diese Furie des Verschwindens - auch ein geflügeltes Wort über Bierce - gehörte zu den Meistern der kleinen, bitterbösen, makabren Form.

Magisch-unheimliche Atmosphäre

Berühmt sind seine Bürgerkriegsgeschichten, die schockierend genau und pointiert vom Grauen des amerikanischen Bürgerkrieges berichten. Es sind realistische Geschichten, verpackt allerdings in eine magisch-unheimliche Atmosphäre. Wie in seiner bekanntesten Erzählung: Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke.

Die verblüffend-schockierende Geschichte eines makabren Sekundentraumes entdeckte der noch jugendliche Filmregisseur Christian Petzold in der Stadtbücherei von Wuppertal in einen Band mit Gespenstergeschichten, veröffentlicht im Diogenes Verlag. 2006 verarbeite er den Stoff in seiner filmischen Gespenstergeschichte "Yella".

"Da entdeckte ich Ambrose Bierce", so Petzold. "Diese Geschichte über die merkwürdige Begebenheit an der Owl-Creek-Bridge. Die hat mich schwer beeindruckt. Auch alle, die es gelesen haben. Wenn ich den Leuten den 'Yella'-Stoff erzählt habe, haben die immer gesagt: Das ist Ambrose Bierce. Das ist eine dieser modernen amerikanischen Kurzgeschichten, die so modern geschrieben sind; ohne Bierce & Kipling gäbe es keinen Hemingway. Gleichzeitig ist es unheimlich mythisch, was darin verhandelt wird. Ein mythischer Krieg, ein Bürgerkriegszustand. Diese Geschichte taucht immer wieder in der amerikanischen Populärkultur auf. Bei 'Sixth Sense' oder 'Carnival of Souls', einer meiner Lieblingsfilme. Die haben schon bei mir Pate gestanden."

Grausige Pointen

Viele Geschichten von Ambrose Bierce, wie die von der Owl-Creek-Brücke, haben oft eine grausige Pointe, die meistens erst im letzten Satz auffliegt. So auch in seiner Bürgerkriegs-Skizze "Chickamauga".

"Ich finde immer noch 'Chickamauga' das heftigste Stück, weil man erst mit dem letzten Satz der Geschichte bemerkt, was einem vorher so unheimlich war", meint der Übersetzer Gisbert Haefs. Für Haefs, der Ende der 1980er Jahre die wichtigen Texte von Bierce ins Deutsche übertragen hat, ist "Chickamauga" eine der raffiniertesten Erzählungen des Bürgerkriegs-Chronisten:

"Es wird das kleine Kind geschildert, das durch den Wald zum Fluss läuft und mit den Soldaten herumspielt, die da herumlaufen. Nach und nach wird dem Leser klar, das ist das Ende einer Schlacht und diese Soldaten kriechen nicht, um mit dem Kind zu spielen, sondern die sind alle schwer verwundet und zum größten Teil schon tot. Es ist die ganze Zeit bei aller Präzision etwas absolut Unheimliches in dieser Geschichte. Das Unheimliche ist nicht die Erwartung des Kindes, mit denen spielen zu können, sondern nicht zu begreifen, dass die gleich sterben werden."

"Das Unheimliche kommt im allerletzten Satz: Das Kind war taubstumm", ergänzt Haefs.

Beklemmende Komik, komischer Horror

Bierce, der 1842 in einem Kaff in Ohio geboren wurde, zog es nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, den er als Soldat erlebte, Richtung Westen. In San Francisco wurde er ein Selfmade-Journalist und schrieb messerscharfe Reportagen, bitterböse Glossen, die ihm den Ruf eines üblen Burschen einbrachten. Er galt als giftigster Journalist Kaliforniens. Nebenbei verfasste er seine zahlreichen schaurigen, verblüffenden und makabren Geschichten. Bei ihm ist das Komische oft beklemmend und der Horror nicht selten komisch.

"Bierce baut in seinen Bürgerkriegs- und Horrorgeschichten wunderbar geschlossene magische Sphären, in denen wir uns mit ihm zusammen bis zur letzten Zeile aufhalten können", sagt Haefs. "Auch in den Lügengeschichten weiß man von vornherein, das ist eine Lüge, aber das ist in sich, in jedem Punkt konsequent."

Unsinn ernsthaft verpackt

"Katzenkargo" oder die Geschichte von Hunden, die zu Hundeöl verarbeitet werden, sind wunderbare Lügengeschichten, die sehr ernsthaft mit dem Unsinn umgehen und den Leser leise zweifeln lassen, ob nicht doch kein Körnchen Wahrheit dabei ist.

"Wertloses Zeug wie die Religionen, Philosophien, Literaturen, Künste und Wissenschaften jener Stämme, die die Gegenden südlich des Nordpols unbewohnbar machen." Haefs ist immer wieder erstaunt, wie zeitlos "Des Teufels Wörterbuch" über unser modernes Leben zu berichten weiß.

"Oder: Besonders schön, gerade im Kontext der religiösen Wiederaufrüstung in Morgen- und Abendland. 'Pilger'. Seriöser Tourist. Ein Pilgervater war einer, der Europa anno 1620 verließ, weil es ihm dort nicht gestattet war, Psalmen durch die Nase zu singen, welcher er nach Massachusetts folgte, woselbst er gemäß seines Gewissens Gott spielen konnte."

Seltsamer Brauch

Auf den Spuren unter anderen von Ambrose Bierce zog es Gisbert Haefs Ende der 1980er Jahre nach Mexiko – da, wo Bierce sich in Luft aufgelöst hat.

"Ich bin 1989 das erste Mal in Mexiko gewesen und war damals auch in Guanajuato, wo es ein Mumienmuseum gibt", erzählt Haefs. "Der Hintergrund ist recht einfach. Die Stadt platzte um 1900 aus allen Nähten, weil einfach in dem Tal nicht genug Platz war. Es wurden dann die Leute nicht mehr auf dem Friedhof, sondern oben an einem Berghang bestattet und zwar nur eingewickelt, ohne Sarg. Dann gab es einen katastrophalen Regen mit Erdrutschen und die ganzen Leichen der letzten Jahre waren an der Oberfläche und siehe da, sie waren mumifiziert. Darauf wurde sehr viel später ein Mumienmuseum eingerichtet. Als ich da war, war das noch ein einzigartiges Macabricum."

Dazu passt der Biercesche Spott-Text "Elektroplattierung von Leichen":

"Die Mexikaner haben ja einen ganz eigenartigen Totenkult", meint Haefs. "Da gab es einen Glaskasten und da war die Mumie eines alten Mannes. Zu Weihnachten hatte die Familie ihn nach Hause geholt. Und da saß nun die Familie: Urahne an Urahne, Großmutter, Mutter und Kind, und in der Mitte dieser mumifizierte Großvater, und alles lächelte in die Kamera. Hinterher wurde er wieder in den Glaskasten gebracht. Ich fand das hinreißend und hab damals gedacht, das ist so schön makaber, Ambrose Bierce müsste daran doch seinen Spaß gehabt haben."

Hommage an Ambrose Bierce

Angestachelt von den Bildern des Mumienmuseums und der Idee, dass das eigentlich ein idealer Ort für Ambrose Bierce gewesen wäre, schrieb Haefs eine Hommage an die letzten Tage des Zynikers in Mexiko: "Todestausch". Klingt ernüchternd, so wie viele von Bierces bitteren Schnappschüssen aus dem Bürgerkrieg und anderen Schlachtplätzen der Zivilisation.

Gisbert Haefs liest aus "Todestausch": "Noch einmal: 'Bierce, warum sind Sie hergekommen?' Bierce hob die Schultern. 'Alte Männer haben manchmal Illusionen, von denen sie vorher nichts wussten. Ich weiß, ich habe im Bürgerkrieg allen Edelmut und alle Niedertracht gesehen, allen Glanz und alles Grauen, aber dann dachte ich, vielleicht gibt es in diesem Revolutionskrieg etwas, was ich noch nicht kenne. Nun ja.' 'Also nichts?' Durand klang betont beiläufig. 'Nichts, was ich nicht schon gesehen hätte', sagte Bierce."

Service

Ambrose Bierce, "Geschichten aus dem Bürgerkrieg", übersetzt von Gisbert Haefs, Elster Verlag