Überlegungen von Peter Bieri

Eine Art zu leben

Der Schweizer Philosoph Peter Bieri ist einer der prominentesten Vertreter seiner Zunft, nicht zuletzt, weil er unter dem Pseudonym "Pascal Mercier" immer wieder auch als Romancier hervortritt. Sein – mit Bruno Ganz verfilmter – Roman "Nachtzug nach Lissabon", in zahlreiche Sprachen übersetzt, ist zum internationalen Bestseller geworden.

Pascal Mercier, pardon, Peter Bieri hat aber auch als Philosoph einiges zu bieten. In seinem jüngsten Werk setzt sich der 69-Jährige mit einem komplexen Thema auseinander: mit der menschlichen Würde. Was ist das überhaupt, Würde? Wie zeigt sie sich im Leben eines Menschen? Und wodurch ist sie bedroht?

Was ist Würde?

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." So lautet der erste Satz des deutschen Grundgesetzes, und auch die Grundrechtecharta der Europäischen Union führt diese feierlich-pathetische Sentenz als oberstes Prinzip an: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ja, schon, möchte man einwenden, aber was heißt das überhaupt: Würde? Peter Bieri, ein Philosoph, dem jede Art von Salbaderei fremd ist, Peter Bieri, geht geradlinig auf sein Thema los:

"Die Würde des Menschen – das ist etwas Wichtiges und etwas, was nicht angetastet werden darf", schreibt der in Berlin lebende Philosoph: "Doch was ist das eigentlich, Würde? Was ist es genau?" Peter Bieri diskutiert diverse Definitionen von Würde – und kommt zu einem klaren Befund: "Würde ist das Recht, nicht gedemütigt zu werden."

Die Würde im Zwergenwerfen

Das Faszinierende an Bieris 380-seitiger Abhandlung ist, dass man während der Lektüre mehr und mehr das Gefühl bekommt, einem hochreflexiven Denker beim Philosophieren förmlich zuschauen zu können. Bieri pflegt einen klaren, schnörkellosen Stil, man muss nicht Plato, Hegel, Kant gelesen haben, um ihn zu verstehen, ja, man könnte Bieris Buch auch gewinnbringend lesen, ohne überhaupt je etwas von Hegel oder Plato gehört zu haben. Was für eine Wohltat im philosophischen Gewerbe, in dem oft genug enigmatisch formulierende Volltöner in der Nachfolge Derridas und anderer Sinnverdunkler den Ton angeben.

Peter Bieri diskutiert das Problem der menschlichen Würde auf philosophisch differenzierte, aber stets auch praxisorientierte Weise. Für eine grundsätzliche Erörterung des Themas eignet sich in seinen Augen – und das ist typisch für Bieris Methode – das sogenannte Zwergenwerfen:

Da und dort sollen auch schon Weltmeisterschaften in der obskuren Disziplin des "Zwergenwerfens" veranstaltet worden sein. Just an dieser, dem Jahrmarkts-Milieu entstammenden Praxis erörtert Bieri nun also das Problem der menschlichen Würde.

Einwände von Befürwortern

So weit, so gut. Es spricht für Bieris philosophische Integrität, dass er es dabei nicht bewenden lässt. Der stets behutsam abwägende Philosoph berücksichtigt auch Einwände, die von Befürwortern des "Zwergenwerfens" vorgebracht werden könnten. Hier ein paar Beispiele:

Die "Philosophie des Zwergenwerfens" nimmt nur einen kleinen Teil innerhalb der Bierischen Abhandlung ein. Aber das Zwergenwerfen eignet sich eben hervorragend, um das Thema "Würde" anzureißen und die Ambivalenzen der Materie herauszuarbeiten.

Spannende Lektüre

Auf hohem philosophischen Niveau diskutiert Peter Bieri auch eine Reihe anderer Fragen, die mit dem Thema Würde zu tun haben. Wie steht es um die Würde eines Bittstellers gegenüber einem Menschen, der Macht über ihn hat? Wie um die Würde eines Bettlers? Haben die hinter Schaufenstern sitzenden Prostituierten im Amsterdamer Rotlichtviertel noch "Würde"? Wann verliert Professor Unrat, der Protagonist in Heinrich Manns berühmtem Roman, der kessen Rosa gegenüber seine Würde? Und wann der erfolglose Vertreter Willy Loman im "Tod eines Handlungsreisenden"? Wie kann die Würde eines Menschen bei Krankheit und im Akt des Sterbens bewahrt werden? Und wie steht es um die Würde der Toten?

Peter Bieri gelingt in seinem Buch das Kunststück, einem Begriff von exorbitantem Vagheitspotenzial auf überzeugende Weise auf den Grund zu gehen. Natürlich bleiben Unschärfen und Ambivalenzen, wie auch nicht? Aber Bieri auf seinen philosophischen Streifzügen und Höhenflügen zu begleiten, erweist sich während der Lektüre von Seite zu Seite mehr als exquisites Abenteuer.

Service

Peter Bieri, "Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde", Hanser-Verlag

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