Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah
Der Politische Islam
Mehr als zwölf Jahre sind seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York vergangen. Islamophobie und Vorurteile gegen Muslime haben sich seither stark verbreitet und sind auch von konservativen politischen Kräften im Westen geschürt worden. Woran es hingegen mangelt, ist ein fundiertes Wissen über Religion und Politik in der muslimischen Welt.
8. April 2017, 21:58
Das hat sich auch im Zuge des Arabischen Frühlings erneut gezeigt. Schon der Unterschied zwischen Islam und politischem Islam wird oft genug ignoriert. Der Politologe Imad Mustafa, in Deutschland geborener und ausgebildeter Sohn von palästinensischen Gastarbeitern, hat nun ein Buch verfasst, das das Phänomen des politischen Islam in seinem historischen Kontext und aktuellen Bezügen darstellt.
Porträts der Vordenker
Nicht nur im Umbruch in der arabischen Welt, der Ende 2010/Anfang 2011 einsetzte, spielen Parteien und Bewegungen mit ideologischer Basis im Islam eine wichtige Rolle. Dies gilt seit langem auch für den Befreiungskampf der Palästinenser und andere Konflikte im Nahen Osten. Genannt seien hier die Muslimbrüder, die Hamas und die Hizbollah, drei der Parteien, auf die Imad Mustafa in seinem Buch eingeht. Die Wurzeln dieses politischen Islam liegen im 19. Jahrhundert, er ist vor circa 120 Jahren entstanden.
Imad Mustafa porträtiert einige der damaligen Vordenker, unter ihnen Dschamal al-Din al-Afghani und Muhammed Abduh. Bei beiden hebt er deren äußerst kritische, aber nicht ausschließlich negative Beurteilung des Westens hervor, denn diese Denker unterschieden sehr wohl zwischen westlicher Politik und Dominanz und wissenschaftlichen Errungenschaften.
Imad Mustafa zieht klare Trennlinien zwischen erstens: Islam als Religion und gläubigen Muslimen, von denen nur die Allerwenigsten einer wie immer definierten politischen Organisation angehören; zweitens: dem politischen Islam, also Parteien und Gruppierungen, die auf dem Islam beruhende, größere gesellschaftspolitische Konzepte haben und auch zu einem politischen Dialog bereit sind; und drittens: radikalen, militanten Gruppen wie Al-Kaida. Den Begriff Islamismus vermeidet er.
Horizonte der Hoffnung
Als Vordenker der radikalen, bewaffneten Gruppierungen gilt Sayyid Qutb, der von 1906 bis 1966 in Ägypten lebte. Imad Mustafa zeichnet den Werdegang dieses zunächst liberalen Lehrers und Beamten aus der Muslimbruderschaft nach. In der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus, dem Westen und dann der Nasser-Revolution radikalisierte sich Sayyid Qutb zunehmend. Als der von Nasser regierte arabisch-sozialistische Staat die Muslimbrüder verfolgte, landete auch Sayyid im Gefängnis. Dort verfasste er sein einflussreichstes Werk "Wegzeichen", in dem er sein Konzept des gewalttätigen Dschihad entwickelte. Die Muslimbrüder distanzierten sich später von Qutbs radikalem Weg, für militante Bewegungen ist sein Denken aber weiterhin relevant.
Zitat
Die gesegnete Revolution eröffnete dem ägyptischen Volk Horizonte der Hoffnung, um aus dem Dunkel der Armut, des Unwissens und der Krankheit auszutreten und sich der Weite der Freiheit, der Demokratie sowie der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und der Menschenrechte hinzuwenden.
Hier zitiert Imad Mustafa aus dem Parteiprogramm der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die nach dem Sturz von Langzeitpräsident Hosni Mubarak von den Muslimbrüdern gegründet wurde. In der kurzen Zeit, in der die Partei an der Macht war, schien es bestenfalls so, als müsste sie erst mühsam lernen, wie solche Prinzipien umzusetzen wären. Wie ein von den Muslimbrüdern längerfristig regiertes Ägypten aussehen würde, bleibt daher eine offene Frage.
Kein Licht am Ende des Tunnels
Imad Mustafa geht auch auf das islamische Wirtschaftssystem ein, wie es die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei in ihrem Parteiprogramm definiert. Er selbst kommentiert es mit folgenden Worten:
Zitat
Vor uns liegt ein erstaunliches Dokument, das den Individualismus in den höchsten Tönen lobt, ohne die Gemeinschaft der Gläubigen, Umma, die den Muslimbrüdern sonst so wichtig ist, auch nur ansatzweise zu erwähnen. In der hier entworfenen Welt ist der Mensch die Krone der Schöpfung. Der extreme Individualismus, der hier zum Tragen kommt, ist aber die notwendige Vorbedingung, um die Mischung von marktliberalen Dogmen wie dem Konkurrenzprinzip und islamischen Dogmen (Zinsverbot, Verbot von Prasserei und Geiz) zu einem Modell freier Marktwirtschaft zu verschmelzen.
Solche Zitate aus arabischen Texten der jüngsten Zeit durchziehen vor allem den zweiten Teil des Buchs. Im ersten stützt sich der Autor stark auf bereits vorhandene Werke renommierter westlicher Autoren zu den Entwicklungen in der arabischen Welt. Zur nahen und mittleren Zukunft äußert sich Imad Mustafa überhaupt nicht optimistisch, es werde Jahrzehnte dauern, die Konflikte auszuhandeln, er sieht kein Licht am Ende des Tunnels.
Service
Imad Mustafa, "Der Politische Islam. Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah", Promedia-Verlag
Übersicht
- Islam