Neue Nationalbibliothek in Riga

In Riga wurde am vergangenen Wochenende das Europäische Kulturhauptstadtjahr eingeläutet. Die Vergangenheit ist eines der Leitmotive von Riga 2014: eine große Kunstausstellung im Arsenal, über den Ersten Weltkrieg und auch das berüchtigte "Eckhaus", der ehemaligen KGB-Zentrale, die jetzt erstmals seit dem Abzug der Sowjets wieder geöffnet wird.

Nationalbibliothek in Riga

(c) Kalnina, EPA

Zur feierlichen Eröffnung des Kulturhauptstadt-Jahres hat man jedenfalls ein freudiges Kapitel der Vergangenheit in den Mittelpunkt gestellt: die Eröffnung der neuen Nationalbibliothek.

Kulturjournal, 21.01.2014

Auf einer Strecke von angeblich genau 2.014 Metern haben sie sich aufgereiht: Jelizaveta und Ginta. Zusammen mit mehr als 2.000 Menschen stehen sie hier bei einer Temperatur von minus 14 Grad auf der Daugava-Brücke und reichen Bücher von Hand zu Hand - vom Jugendstilviertel durch die mittelalterliche Altstadt in einen modern-markanten Glaspalast am Ufer des Flusses. Der Direktor der Nationalbibliothek Andris Vilks posiert stolz mit einer ledergebundenen Bibel.

Rund eine dreiviertel Stunde dauert die Reise und bis zum Sonnenuntergang um vier Uhr nachmittags werden noch 15.000 Bücher folgen. Die Bücherkette soll an den Baltischen Weg 1989 erinnern, wurde allerorts betont, an die 600 Kilometer lange Menschenkette, die damals für Freiheit und Unabhängigkeit demonstrierte. Der Direktor der Nationalbibliothek Andris Vilks erzählt eine andere Version"

"Die Idee kommt von einem großen Unfall, der hier im Juni 2010 passiert ist. Die Decke in einem Buchdepot ist eingebrochen und an die 70.000 Bücher sind im Keller gelandet. Es war eine Katastrophe. Wir haben die Bevölkerung um Unterstützung gebeten und viele sind gekommen. Sie haben eine Reihe gebildet und die Bücher von Hand zu Hand weitergereicht. Ohne große technische Unterstützung, das war die beste Lösung. Nur ein paar Stunden hat es gedauert und die Bücher waren gerettet."

Fakt ist: An sechs verschiedenen Orten in der Stadt sind die rund vier Millionen Bücher der Lettischen Nationalbibliothek derzeit untergebracht: in ehemaligen Wohnhäusern, Banken, einer aufgelassenen Fischkonservenfabrik. Bereits zu Sowjetzeiten war mit der Planung eines eigenen Bibliotheksgebäudes begonnen wurden, 1989 wurde der in Riga geborene und in den USA berühmt gewordene Architekt Gunnars Birkerts beauftragt.

Genau ein Vierteljahrhundert später steht es also da: das dreiecksförmige 70 Meter hoch aufragende sogenannte Gaismas Pils, was so viel heißt wie "Lichtschloss", eines der umstrittensten Bauvorhaben der lettischen Gegenwart. Schaut aus wie ein riesiger Supermarkt, sagen die einen, wie eine Skipiste meinen die anderen. Die Hauptkritik aber richtet sich gegen die Kosten: In Zeiten der Finanzkrise wurden mehr als 160 Millionen Euro für den Bibliotheksneubau ausgeben - eine stolze Summe für ein Land mit rund zwei Millionen Einwohnern. Nationalbibliotheken haben für kleine Nationen in jungen Staaten eine besonders große Bedeutung, betont Andris Vilks und erklärt seine Pläne:

"Es ist ein sehr offenes Konzept. Wir haben hier in Riga weder eine historisch gewachsene große Universitätsbibliothek, noch funktionierende öffentliche Büchereien. Wir werden also die Aufgaben dieser beiden Institutionen übernehmen. Zum Beispiel wird ein Gutteil unserer Sammlungen frei zugänglich sein, rund 350.000 Werke. Der siebente Stock wird ganz den Kindern gehören: eine große Bibliothek für Kinderliteratur und Leseförderung."

Eine Bibliothek also für alle. Ende August wird die Übersiedlung abgeschlossen sein und wenn die Lettische Nationalbibliothek dann tatsächlich eröffnet wird, steuert das Kulturhauptstadtjahr auf seinen Höhepunkt zu. Bei sommerlichen Temperaturen lädt Riga 2014 zum großen Chor-Fest mit mehr als 20.000 Sängern aus 90 Ländern. Die Letten, so sagt man, sind ein lesendes und ein singendes Volk - 2014 soll das ganz Europa erfahren.