"Neue Weltliteratur" von Sigrid Löffler

Somalia, Pakistan oder Kenia sind Länder, die regelmäßig mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam machen. Bürgerkriege, Attentate und religiöser Fundamentalismus sorgen dort für katastrophale Zustände, die vielerorts kein geregeltes gesellschaftliches Leben zulassen. Dass aus diesen Ländern auch einige der bedeutendsten Gegenwartsautoren stammen, ist hingegen kaum bekannt.

Die Grande Dame der österreichischen Literaturkritik Sigrid Löffler widmet sich jetzt diesen weißen Flecken auf der literarischen Landkarte. "Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler" heißt das Buch, in dem Löffler ihre Kontinente durchquerende Erkundungstour beschreibt.

Kulturjournal, 22.01.2014

Eine kleine Zeitreise steht am Anfang von Sigrid Löfflers Buch und die führt zurück zum Ende der Kolonialzeit. Nachdem jahrhundertelang die Europäer in ihre Kolonien ausgewandert waren, kam es nun zum Rückstrom. Menschen aus Afrika, Asien und der Karibik zogen auf der Suche nach besseren Lebensumständen in die westlichen Metropolen. 1950 trafen da gleich zwei spätere Literaturnobelpreisträger in London ein. Aus dem damaligen Rhodesien Doris Lessing und aus dem karibischen Trinidad V. S. Naipaul. Das war jedoch nur ein Startschuss für die durch Migration und Sprachwechsel bestimmte neue Weltliteratur, so Sigrid Löffler.

Eroberer einer fremden Sprache

Eines dieser Länder ist Somalia und von hier stammt ein Mann, der als einer der ganz großen afrikanischen Erzähler gilt und schon seit Jahren als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird: Nuruddin Farah. Seine Romane setzen sich mit der tragischen Geschichte seiner Heimat auseinander: mit dem brutalen Regime der Kolonialherren und der nicht minder gewaltbestimmten Willkürherrschaft der neuen afrikanischen Despoten, die meist auf einem faschistischen Clan-Denken aufbaut. Die Lust am Erzählen besaß Farah schon von Kindesbeinen an, bevor er sich ans Schreiben machen konnte, galt es aber eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen: in welcher Sprache er schreiben solle. Er entschied sich für Englisch.

Den Wechsel ins Englische hat auch Farahs kenianischer Schriftstellerkollege Ngugi wa Thiongo durchgemacht. Der fühlte sich jedoch durch die Sprache der ehemaligen Kolonialherren manipuliert und in seinen Ausdrucksmöglichkeiten eingeschränkt und begann deshalb wieder in seinem angestammten Gikuyu-Dialekt zu schreiben. Eine höchst problematische Entscheidung, meint Sigrid Löffler.

Die Sorgen des heute 76-jährigen Ngugi wa Thiongo teilten die nachfolgenden Schriftstellergenerationen nicht mehr. Sie sehen sich als selbstbewusste Eroberer der fremden Sprache und drücken ihr ihren oft ganz eigenwilligen Stempel auf. Ähnliches lässt sich auch in der deutschen Literatur beobachten. Besonderes Aufsehen hat da in den letzten Jahren der irakisch-stämmige Autor Abbas Khider erregt. Ihm erlaubt die Verwendung des Deutschen eine gesunde Distanz zu den traumatischen Erlebnissen seiner Jugend, wie er sie in seinem Roman "Die Orangen des Präsidenten" beschreibt.

Sensibilität für Tonfall und Ausdruck

Während der Irak über Abbas Khider hinaus in den letzten Jahren kaum bekannte Schriftsteller hervorgebracht hat, konnte sich Pakistan als literarische Hochburg etablieren. Das breite Spektrum an Tonfällen und Stimmungslagen, das dort zu finden ist, erklärt sich aus den ganz unterschiedlichen und oft außergewöhnlichen Biografien der Autoren. Mohammed Hanif etwa war Pilot der pakistanischen Luftwaffe, bevor er zum Schreiben fand. Gleich sein Debütroman "Eine Kiste explodierender Mangos", eine tiefschwarze Satire über den Tod des früheren pakistanischen Präsidenten Zia-ul-Haq, wurde für den Man Booker Prize nominiert.

Ganz anders Mohsin Hamid, der auf den amerikanischen Elite-Universitäten Harvard und Princeton ausgebildet wurde und Creative-Writing–Klassen bei Toni Morrison und Joyce Carol Oates besuchte. In seinem Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" machte er den Islamismus zu seinem großen Thema, erzählt Sigrid Löffler. Die Dringlichkeit, die in Mohsin Hamids Roman zum Ausdruck kommt, ist Kennzeichen der meisten Romane der neuen Weltliteratur. Dazu kommen die durch den Sprachwechsel bedingte Sensibilität für Tonfall und Ausdruck und eine für den Westen völlig neue Welterfahrung.

Eine ganze Menge von Gründen also, die dafür sprechen, dass diese migrantischen, zwischen den Kulturen stehenden Autoren in Zukunft die literarische Weltkarte neu zeichnen werden. Und eine Orientierungshilfe auf dieser Weltkarte bietet das neue Buch von Sigrid Löffler "Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler", das im Verlag C. H. Beck erschienen ist.

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