"Le Passé" - Familie mit Konsequenzen
Für den Film "Nader und Simin - eine Trennung" hat der iranische Regisseur Asghar Farhadi vor drei Jahren den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Auch sein neuer Film beginnt mit einer Trennung: "Le Passé - das Vergangene", eine höchste emotionale Erforschung von Familienbeziehungen mit weitreichenden Konsequenzen.
8. April 2017, 21:58

(c) Carole Bethuel
Mittagsjournal, 31.1.2014
Eine Frau lässt sich von ihrem Mann scheiden. Beide leben seit Jahren getrennt - er in Teheran und sie in Paris - und so scheint die Sache nur ein Formalakt zu sein, als der Mann (Ali Mosaffa) nach Paris kommt. Die Frau, sie heißt Maire-Anne (Bérénice Bejo) will wieder heiraten, doch Tochter Lucie hat Vorbehalte gegen den zukünftigen Ehemann (Tahar Rahim), denn seine Noch-Ehefrau liegt im Spital im Koma.
Tragödienforschung
Auf den ersten Blick scheint der Konflikt banal. Eifersucht lautet die Vermutung. Doch nach und nach wird die Frage nach dem Warum zur dramaturgischen Triebkraft: Warum liegt die Frau des zukünftigen Ehemanns im Koma? Schicht um Schicht trägt Regisseur Asghar Farhadi ab, um die eigentliche Tragödie dieser Patchwork-Familie, um die wahren Motive der Familienmitglieder transparent zu machen. Wer keinen klaren Kopf und vor allem Überblick behält, gerät – auch der Kinozuseher ist davor nicht gefeit - schnell ins Fahrwasser destruktiver Spekulation.
Erster Film im Westen
Regisseur Farhadi erzählt diese Geschichte weitreichender Missverständnisse zwischen den Generationen und Kulturen, zwischen orientalischer und westlicher Mentalität. Mit kriminalistischer Präzision zeigt Farhadi die Fallstricke des kommunikativen Scheiterns: eine fatale Mischung aus Geheimnissen, unterdrückten Ängsten, falschem Kalkül und verletzten Gefühlen.
Es ist der erste Film, den Farhadi nicht in seiner Heimat, im Iran, sondern im Westen gedreht hat, eine zwiespältige Erfahrung: "Die Arbeit in Frankreich war einfacher und schwieriger zugleich. Denn einerseits hatte ich mehr Sicherheit und bessere Produktionsbedingungen, anderseits aber haben die vielen Schwierigkeiten, die ich im Iran hatte, oft auch meine Kreativität geradezu herausgefordert."
Beispielgebender Mikrokosmos Familie
Wenn zu Beginn des Films in "Le Passé - Das Vergangene" zwei Menschen - durch eine Glaswand getrennt - miteinander sprechen, sich nicht hören können, aber trotzdem weitersprechen, dann ahnt man schon: Hier wird grundlegend aneinander vorbei geredet. Am Ende des Films folgt die Gewissheit mit weitreichenden Konsequenzen: Der Mikrokosmos Familie ist eine Folie, die man auch über so manchen weltpolitischen Brandherd legen könnte. Im diffusen Geflecht der Gefühle werden Nebensächlichkeiten zum Hauptproblem, den Rest besorgt eine außer Kontrolle geratene Gruppendynamik.