IKRK-Präsident: "Nicht alle Probleme bewältigen"

Seit knapp eineinhalb Jahren hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einen neuen Präsidenten: Peter Maurer, ein 57 Jahre alter ehemaliger Diplomat und früherer Staatssekretär der Schweiz. "Im Journal zu Gast" spricht Maurer vor allem über die Situation in Syrien, den diskreten Umgang des Roten Kreuzes mit Konfliktparteien und die geänderten Herausforderungen durch asymmetrische Konflikte, denen sich die Hilfsorganisation stellen muss.

Peter Maurer

(c) Bott, EPA

Mittagsjournal, 1.2.2014

Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, ist "Im Journal zu Gast" bei

Syrien besonders schwierig

Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, sagt "Im Journal zu Gast", der derzeitige Einsatz in Syrien sei besonders schwierig. Der Zugang insbesondere zu den Kampfgebieten, in denen noch viele Zivilisten eingeschlossen sind, sei eine besondere Herausforderung. "Auf der anderen Seite ist es auch richtig, dass Syrien heute das größte Budget der IKRK-Operationen hat, über 100 Millionen Schweizer Franken pro Jahr."

Dieses Geld stelle sicher, dass in verschiedenen Teilen Syriens gute humanitär Arbeit geleistet werden könne, sagt Maurer. Das gelte insbesondere für Wasser, Sanitärinstallationen, Nahrungsmittel und elementare Haushaltsgegenstände. Die größten Schwierigkeiten gibt es demnach im medizinischen Bereich, weil dieser von beiden Kriegsparteien als strategisch wichtig und nicht als humanitär relevant angesehen wird.

Zwischen Tätern und Opfern

Diese Interpretation erschwere den Zugang zur Zivilbevölkerung. Der Zugang muss immer wieder neu verhandelt werden, was vor allem mit der bewaffneten Opposition schwierig ist: "Es gibt keine Adresse, es gibt keine Telefonnummer. Unsere Telefonnummer vom Kommandanten der bewaffneten Opposition ist inzwischen Legende."

Das Rote Kreuz verhandelt mit Tätern und hilft den Opfern, die Opfer bekommen die Verhandlungen aber mit – gibt es da Animositäten? Es sei überraschend, wie verständnisvoll die syrische Bevölkerung hinsichtlich der komplizierten Rolle des IKRK ist, und wie sehr sie es schätzt, wenn es dem IKRK immer wieder gelingt, Hilfe leisten zu können, sagt der IKRK-Präsident.

Keine Reflexion, sondern Hilfe

Die Mitarbeiter des IKRK selbst reflektieren nicht über die Ursachen der Gewalt, sondern versuchen, einen humanitären Raum zu schaffen, in dem Hilfe geleitstet werden kann. "Ich frage mich nicht jeden Tag, warum dies und jenes Unrecht oder diese und jene Rechtsverletzung geschieht", so Maurer, wenn man diese Dinge nicht ausblenden kann, sollte man nicht Delegierter des IKRK oder dessen Präsident sein.

"Andere Probleme müssen von anderen gelöst werden. Ich denke, es ist ein praktisches Arrangement der internationalen Gemeinschaft, dass man versucht, diese Dinge zu trennen. Wenn wir sie vermischen würden, würden wir uns die Möglichkeit versagen, Hilfe leisten zu können und Zugänge zu umkämpften Gebieten erhalten zu können", erklärt Maurer seinen Zugang. Als Präsident einer humanitären Organisation mache man sich aber immer Sorgen über die Begrenztheit dessen, was man wirklich erreichen kann. Es sei selbstverständlich, dass man als Mensch ambitiöser sein möchte als das Amt erlaubt.

Neue Formen der Gewalt

Die Situationen, in denen das IKRK heute tätig ist, seien unübersichtlicher geworden, weil jetzt mehr Akteure im Feld sind, sagt Maurer, Stichwort "asymmetrische Konflikte". Auch die Gewalt nehme heute andere Formen an, in denen etwa Kriminalität, interethnische Spannungen oder Naturkatastrophen und Gewalt ineinander überfließen: "Wir haben gleichzeitig drei, vier Generationen von bewaffneten Konflikten, die sich in einem Kontext durchaus miteinander vermengen können, und das ist eigentlich die große Komplexität, mit der wir uns heute befassen."

Das Rote Kreuz stoße immer und immer wieder auf Grenzen und versuche, sich auf jene Bereiche zu konzentrieren, wo es wirklich gut ist. Man habe schon lange den Anspruch aufgegeben, alle Probleme, die man antrifft, bewältigen zu können, sagt Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.

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