Das Auge des Jahrhunderts
Nicht umsonst hat man ihn "Das Auge des Jahrhunderts" genannt, denn der französische Fotograf Henri Cartier-Bresson war unbestritten einer der großen Zeitzeugen des 20.Jahrhunderts. Das Pariser Centre Pompidou widmet dem Ausnahmefotografen jetzt eine umfangreiche Retrospektive, die erste in Europa seit seinem Tod vor zehn Jahren.
8. April 2017, 21:58

(c) dpa/dpaweb/AFP/epa/Francois Guillot
Seither archiviert und verwaltet die Fondation Henri Cartier-Bresson die von ihm hinterlassenen Schätze. Aus diesem reichhaltigen Fundus wurden mehr als 500 Fotografien, aber auch Zeichnungen, Dokumente und Filmausschnitte ausgewählt, vieles davon ist erstmals zu sehen.
Kulturjournal, 12.02.2014
"Fotografieren bedeutet Kopf, Auge und Herz im Visier zu haben", hat Henri Cartier-Bresson einmal gesagt. Er ist mit Sicherheit einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Zehn Jahre nach seinem Tod widmet ihm das Centre Pompidou in Zusammenarbeit mit der Fondation Henri Cartier-Bresson eine großangelegte Retrospektive, die sich nicht nur im Umfang, sondern auch in der Vielfalt der gezeigten Werke von bisherigen Retrospektiven abhebt, so der Ausstellungskurator Clément Chéroux:
"Viele haben zuvor versucht zu definieren was allen Werken Henri Cartier-Bressons gemeinsam ist - als ob dieser sich zwischen Anfang der 1930er Jahre und dem Ende des vorigen Jahrhunderts nicht weiterentwickelt hätte. Diese Ausstellung will vielmehr zeigen, dass es nicht nur einen Henri Cartier-Bresson gab, sondern dass er viele Facetten hatte."
Henri Cartier-Bresson hatte immer eine Leidenschaft für die Kunst, insbesondere für die Malerei, schon als Kind hat er zu zeichnen und zu fotografieren begonnen. "Cartier-Bresson wollte ursprünglich Maler werden. Aus dieser Ausbildung heraus hat er eine besondere Gabe zur Bildkomposition entwickelt. Das, gepaart mit einem sehr schnellen Einfühlungsvermögen in Situationen, macht seine Einzigartigkeit aus", meint Chéroux.
Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts
Mitte der 1920er Jahre bewegt sich der junge Mann in den Kreisen der Surrealisten, er macht unter anderem die Bekanntschaft von André Breton. Das prägt seine Weltsicht. Er kommt auf den Geschmack des Abenteuers. Die Leidenschaft für die Fotografie gewinnt während seiner Reisen nach Afrika zu Beginn der 1930er Jahre zunehmend an Bedeutung und reißt nicht mehr ab. Seien es der Spanische Bürgerkrieg, der Zweite Weltkrieg, die Entkolonialisierung, der Kalte Krieg oder Mai 68 in Frankreich, Cartier-Bresson hat alles fotografisch festgehalten.
"Die chronologische Abfolge der ausgestellten Werke macht nachvollziehbar, wie sich Cartier-Bresson weiterentwickelt hat, und ist gleichzeitig ein Spaziergang durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, denn Cartier-Bresson war einer der großen Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts", so Chéroux.
Er war auch politisch engagiert, viele seiner Arbeiten wurden in der kommunistischen Presse veröffentlicht. Der Sohn aus gutem Hause verachtete die Bourgeoisie. Er hat sich immer auf die Seite der einfachen Leute gestellt. Im Zuge dessen interessierte er sich Anfang der 1930er Jahre auch zunehmend für das Kino, denn filmisch lassen sich politische Botschaften leichter transportieren und gleichzeitig spricht der Film ein breiteres Publikum an als die Fotografie.
Mit Leib und Seele Fotoreporter
Als Mitbegründer der Agentur "Magnum" verschreibt sich Cartier-Bresson 1947 schließlich mit Leib und Seele der Fotoreportage. Mehr als zwei Jahrzehnte lang arbeitet er als Fotoreporter für die größten internationalen Magazine und bereist so die ganze Welt. Im Jänner 1948 begegnet er Gandhi, wenige Tage vor dessen Ermordung. Er ist in Peking, als die Volksarmee von Mao Zedong nach der Macht greift. 1954 reist er nach Moskau und ist damit der erste westliche Reporter in der UdSSR seit 1947.
Natürlich sind im Centre Pompidou einige der ganz großen Klassiker zu sehen, aber auch eine ganze Reihe weniger bekannter oder noch nie gezeigter Bilder, so Clément Chéroux: "Wenn wir bisher unveröffentlichte Fotos zeigen, dann weil wir hoffen, dass dadurch ein neuer Blick auf das Gesamtwerk dieses vielseitigen Künstlers möglich wird."
Nach 1970 hat sich Henri Cartier-Bresson von der Fotoreportage verabschiedet, auch wenn er seine Leica weiterhin immer bei der Hand hatte. In den letzten Jahren seines Lebens widmete er sich wieder zunehmend der Malerei. "Ich beobachte, ich beobachte, ich beobachte. Ich begreife die Welt über meine Augen", hat er einmal gesagt. Im Centre Pompidou kann man dem Meister dabei jetzt sozusagen über die Schulter schauen.