Die "Café Sonntag"-Glosse von Gunkl

Wie schauen wir auf die Kunst

Wie schauen wir auf die Kunst? Na ja, wenig, überraschend, verschieden. Es kommt darauf an wer schaut und es kommt darauf an, auf was.

Es gibt ja Kunst, die erschließt sich auch dem ungeübten Betrachter sehr zügig als solche, und auch die Fachleute stehen nicht an, diesem Werk Kunststatus zu bescheinigen.

Um hier ein sehr naheliegendes Beispiel zu nennen: Der David von Michelangelo. Das ist Kunst und außer ein paar neben den Schuhen stehenden Ikonoklasten gibt es niemanden, der das anders sieht und es gefällt auch allen. Vielleicht gefällt verschiedenen Menschen Verschiedenes daran. Mich fasziniert an der Figur, dass hier exakt der Moment zwischen Ruhe und Bewegung festgehalten ist. Der wechselt gleich Stand- und Spielbein, oder er wird gleich gehen, das weiß ich nicht, aber so, wie er jetzt geht, das hat gerade aufgehört, ist noch, aber nicht mehr wirklich. Also, ich sehe das so - muss nicht jeder, aber mich fasziniert eben das daran.

Gut, der ungeübte Betrachter hält auch vieles für Kunst, was das Auge des Fachmanns beherzt verwirft. Ein anatomisch richtig gemalter röhrender Hirsch ist etwas, was der Unbedarfte sich gern anschaut und schon auch einmal auch bei sich zu Hause aufhängt. Kunstkenner nicht. Ein krakeliger Hirsch, der aussieht wie eine Kinderzeichnung, eine Zeichnung von einem Kind, um das man sich echt Sorgen machen sollte, perspektivisch ein Komplettverhau, anatomisch ein Debakel, aber aus dem frühen Mittelalter, da wird das Auge des Wachmanns Tränen des Glücks ob der Schönheit nicht zurückhalten können, während ein nichtfachkundiges Urteil sich in "urschiach" erschöpft.

Eine häufig gestellte Frage angesichts moderner Kunst ist: Was will uns der Künstler damit sagen? Es ist aber gar nicht sicher, ob diese Frage überhaupt zulässig ist. Bei der vorvorigen Documenta hat die Fachpresse beklagt, die Kunst hätte zu wenig Bedeutungsüberschuss. Also da will der Künstler zwar etwas sagen, aber halt nur etwas und nicht irgendwas. Da ist deutlich zu erkennen, was gesagt werden will. Das hat Bedeutung, aber die ist identifizierbar. Diese Bedeutung ist nicht zu viel. Das ist zu wenig. Das muss alles heißen können. Dann ist es gut, so die Fachpresse. Also jetzt nicht wörtlich, aber das ist das, was das Beklagen eines Mangels an Bedeutungsüberschuss ja nur heißen kann.

Ob etwas Kunst ist oder nicht, wissen selbst Fachleute manchmal erst dann, wenn sie wissen, wer es gemacht hat. Klingt überraschend, ist aber so. Im germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gibt es eine Menge alter Tischplatten aus dem Mittelalter. Da gab es so die Tradition, Tischplatten rundherum mit vier zusammenhängenden Motiven, die sich den Himmel in der Tischmitte teilen, zu bemalen. Die vier Jahreszeiten, die vier Himmelsrichtungen, die Geburt, die Krönung einer Schlacht und den Sieg von Ferdinand dem Fertigen oder sonst irgendwelche Viehheiten. Davon gibt es eine Menge und die lagern im Keller, weil so wichtig sind sie auch wieder nicht. Eines Tages kommt ein neuer Kurator, schaut in den Keller und schaut einmal an, was denn so vorhanden ist. Auch die Tischplatten im Keller. Bei einer Platte wird er etwas stutzig, weil, die ist nur von einer Seite bemalt. So stellt sich heraus, das ist keine Tischplatte, sondern ein Bild. Aha. Das wäre wurscht, stünde da nicht als Unterschrift "Albrecht Altdorfer". Ein Meister des Mittelalters. Es war aber nicht sicher, ob das Bild wirklich von ihm ist. Also hat man es untersucht. Wirklich ausgiebig. Forensisch, alles, was CSI kann, haben die da aufgefahren. C14, Röntgen, Ultraschall, um eben herauszufinden, ob das Bild wirklich vom Albrecht Altdorfer ist. Und es hat sich herausgestellt, ja, das ist ein Meisterwerk.

Seither hat das Bild einen Ehrenplatz im Museum und alle wischeln sich lauwarm an bis unter die Knie, weil das also wirklich ein Meisterwerk ist. Das hat man vorher nicht gesehen, dass es ein Meisterwerk ist. Jetzt wird sich der Unbedarfte denken, na ja, also ein Bild kann nur ausschauen. Ein Meisterwerk, dem man es nicht ansieht, ist keines. Das denkt sich der Unbedarfte. Aber ich glaube, da werden wir Unbedarften noch viel lernen müssen.