Ausgeträumt: Putins olympische Märchenwelt

In Sotschi sind am Abend die olympischen Winterspiele mit einer großen Abschluss-Show zu Ende gegangen. Russland konnte sich freuen, dass es mehr Medaillen als jedes andere Land gewonnen hat. Doch Präsident Wladimir Putin wollte Olympia zur Image-Politur im In- und Ausland nützen. In der internationalen Politik ist seine Rechnung jedenfalls nicht aufgegangen.

Mittagsjournal, 24.02.2014

"Mythische Form des Patriotismus"

Fliegende Pferde, hunderte Menschen in schimmernden, glitzernden Kostümen, die sich zu gigantischen Figuren formieren, Ballettvorführungen, Zirkuseinlagen – zum Abschluss der Olympischen Spiele hat Russland die eigene Bevölkerung und die ganze Welt noch einmal mit einer großen Show in eine funkelnde, verzaubert anmutende Traumwelt entführt. Für die Politologin Lilija Schewzowa vom Moskauer Carnegie-Zentrum sind derartige Inszenierungen, ja das gesamte glitzernde Olympia-Spektakel, nicht nur aus ästhetischen Gründen interessant: Der russische Präsident Putin verfolge damit klare politische Ziele, sagt Schewzowa: "Er hat ein Märchen geschaffen, ein Märchenbild Russlands, das nicht der Wirklichkeit entspricht", so die Politologin. "Der russische Präsident spürt, dass er an Popularität verliert, dass dem Land Probleme bevorstehen, dass die Zeit des Wirtschaftswachstums vorbei ist, dass eine Rezession beginnt, dass die Menschen den Glauben an die Zukunft verloren haben. Und unter diesen Bedingungen möchte er künstlich den Patriotismus stimulieren, die Menschen um ein Projekt herum einen, sowie man sie in Sowjetzeiten um den Sputnik, das Bolschoj-Theater oder das sowjetische Hockeyteam geeint hat. Er will die Menschen also um eine mythische Form des Patriotismus einen."

"Wir freuen uns trotzdem"

Und tatsächlich, das Land wurde vom Olympiafieber gepackt, selbst im sonst stets skeptischen Moskau spürt man Begeisterung nicht nur für die sportlichen Erfolge. Passanten in Moskau: "Das ist wichtig für Russland, dass es die Olympiade veranstaltet hat, es ist eine große Ehre." - "Das macht einen stolz auf sein Land, dass wir das auf so hohem Niveau durchgeführt haben." - "Es ist ein Symbol der Wiederauferstehung Russlands", sagte ein junger Mann. Und sogar jene, die meinen, man hätte all das in das Olympia-Projekt gesteckte Geld besser für neue Spitäler oder Straßen ausgeben sollen, können sich der allgemeinen Stimmung nicht ganz verschließen: "Wir freuen uns trotzdem, gegen unsern Willen sozusagen, weil es ist ja wirklich großartig, ein Fest, ein Wunder", so eine Frau.

Im Bob durch den Eiskanal

Ist die Rechnung des russischen Präsidenten also aufgegangen, konnte er Russland wirklich um seine Person herum einen? "Zum Teil ist es ihm gelungen – aber der Effekt wird von kurzer Dauer sein", meint die Politologin Schewzowa. Was Putin hingegen nicht gelungen ist, ist auch das Ausland zu beeindrucken. Zu gerne wäre er mit US-Präsident Obama, der deutschen Kanzlerin Merkel und anderen westlichen Spitzenpolitkern in Sotschi auf der Tribüne gesessen, doch sie sind nicht gekommen, sagt Schewzowa: "Die Welt hat Putin enttäuscht, und er begreift, dass er nicht erreicht hat, was er wollte." Doch das, so meint die Politologin, ist für Putin kein Grund, seinen Kurs zu ändern: "Er ist in einer Lage wie bei dieser erstaunlichen Sportart Bobfahren. Er hat sich oben in den Bob gesetzt und dann kann er nicht mehr raus, er rast den Eiskanal hinunter bis zum Ende. Dem Ausland wird er sich als aggressiver Führer präsentieren, der beweisen will, dass Russland eine Großmacht ist. Und auch im Inland wird nichts anders, nur ist Putin nun vor den Kopf gestoßen, und es wird vermutlich noch schwieriger, mit ihm auszukommen." Doch das spürt Russland vorerst noch nicht – die olympische Märchenwelt, die ist für das Land noch nicht ganz verflogen.