Ukraine: Politologe glaubt nicht an Krieg

Zwei Tage noch bis zum umstrittenen und vom Westen und der ukrainischen Führung nicht anerkannten Referendum auf der Krim. Die russische Bedrohung drückt auf die Stimmung, viele fürchten, dass die Krim nur der erste Schritt Wladimir Putins am Weg in die Ostukraine ist. Das seien in erster Linie Drohgebärden, sagt einer der führenden Politologen der Ukraine, Vadim Karasov.

Mittagsjournal, 14.3.2014

Aus der Ukraine

Krim dürfte vorerst verloren sein

"Die Situation in der Ukraine ist derzeit natürlich sehr beunruhigend, keine Frage", sagt Vadim Karasov, doch an einen offenen Krieg mit Russland glaubt er derzeit nicht. Die Krim werde wohl für die Ukraine vorerst verloren sein, sagt Karasov, aber nicht endgültig: "Sagen wir auf eine unbestimmte Zeit. Ich glaube nicht, dass die Krim nach dem 16. März, dem Referendum, sofort ein Teil Russlands wird. Das wird für Putin nämlich sehr teuer." Die Krim ist schließlich eine ukrainische Halbinsel. Strom, Wasser, Gas - alle Leitungen laufen über die Ukraine. Für Russland hingegen sei es eine Insel. "Wie soll Russland dann dorthin Strom und Wasser liefern? Das kostet viel Geld."

Dass Russland deshalb auch gleich den Osten der Ukraine militärisch einnehmen will, wie es vielfach als Horrorszenario an die Wand gemalt wird, glaube er nicht: "Eine Invasion birgt für Putin zu viele Risiken. Es ist doch etwas Anderes, wenn er auf der Krim die dort schon stationierten Soldaten seiner Schwarzmeerflotte, zwar ohne Abzeichen, irgendwie agieren lässt und sich immer ausreden kann, dass das russische Selbstverteidigungskräfte seien, als wenn er ganz eindeutig und direkt mit russischen Panzern, mit russischen Soldaten die ukrainische Ostgrenze überschreitet." Die russischen Truppen an der Grenze seien derzeit Teil des psychologischen Spiels und das sei auch ein Spiel mit den Nerven des Westens.

"Für Putin ist Ukraine Aktiengesellschaft"

Putins Plan sei es, möglichst lange und möglichst effizient und kostengünstig Einfluss auf die politische Entwicklung der Ukraine zu haben. Vadim Karasov bemüht dabei einen Vergleich aus dem Börsengeschäft: "Für Putin ist die gesamte Ukraine sozusagen eine Aktiengesellschaft, an der er mit seinem Statthalter Janukowitsch die Mehrheitsanteile besessen hatte. Der Maidan hat sie ihm genommen. Die Krim ist jetzt ein Aktienpaket für Putin, sozusagen seine Sperrminorität, mit der er alle Entscheidungen in der Ukraine blockieren kann."

Für die neue ukrainische Regierung ist es unter diesen Vorzeichen natürlich schwer, die angekündigten und notwendigen Reformen durchzuführen. Aber die Priorität sei jetzt die Souveränität des Landes, sagt der Politologe: "An oberster Stelle steht jetzt, die Einheit zu bewahren - die Reformen kommen hinten nach. Das Geld, das die Regierung jetzt ausgeben muss, ist für die Armee, den Sicherheitsapparat des Landes. Aber die produzieren nichts und verschlingen Geld."

Patriotismus in der Ukraine gestärkt

Aber eine Arbeit habe Putin mit seiner Aggressionspolitik der neuen Regierung in Kiew ungewollt abgenommen, sagt Vadim Karasov. Er hat den ukrainischen Patriotismus gestärkt und letztlich auch die Einheit des Landes. "Putin hilft bei der Konsolidierung der ukrainischen Nation, wenn Sie so wollen. Es sind im Osten jetzt nicht die Massen für Putin und Russland aufgestanden und haben den Anschluss gefordert. Es gibt zwar pro-russische Demonstrationen, in Donezk zum Beispiel, aber die Lage innerhalb der Ukraine ist stabil."

Das Bürgerkriegsszenario, das heraufbeschworen wurde, finde nicht statt, aber radikale Kräfte könnten jederzeit zündeln, meint Karasov. Die Lage wird jedenfalls noch länger so angespannt bleiben wie derzeit, auf jeden Fall aber bis zu den Präsidentenwahlen am 25. Mai.