Geschichte eines Meisterwerks
Johnny Cash at Folsom Prison
"Folsom Prison Blues" war einer der ersten Songs, die Johnny Cash schrieb. "I Shot a Man in Reno / Just to Watch him die", lautet die berühmteste Zeile dieses 1955 entstandenen Liedes, mit dem Cash schon früh seine Image als Outlaw kultivierte.
8. April 2017, 21:58
Für Johnny Cash war es nicht nur ein Marketing-Gag, sich mit den Eingesperrten zu solidarisieren. Schon zu Beginn seiner Karriere gab er Konzerte in Gefängnissen, bei denen er auf seine Gage verzichtete und eine äußerst kritische Einstellung zum damaligen Strafvollzug entwickelte.
"Folsom Prison Blues" eröffnet
Als Cash Ende der 1960er Jahre tief im Drogensumpf und einem Popularitätstief versunken war, besann er sich auf seine Wurzeln - und plante einen Auftritt im legendären "Folsom Prison". Am 13. Jänner 1968 war es vormittags um 9.40 Uhr soweit: Johnny Cash begann sein Konzert - natürlich mit dem "Folsom Prison Blues".
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Als der Beginn des Konzertes näher rückte, hielten die Wärter Ausschau nach Messern, nach Schlägereien. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass die Insassen während Cashs Konzert davon absehen würden, alte Rechnungen zu begleichen, und es war auch nicht auszuschließen, dass irgendein Durchgeknallter über Johnny herfallen würde. Doch der Saal füllte sich ohne Zwischenfälle.
Zensierte Fassung nach Kennedys Tod
Michael Streissguth dokumentiert in seinem hervorragenden Buch penibel Johnny Cashs Auftritt im Folsom Prison: Wie es zu dem Konzert kam, was es auslöste. Denn das Album, das im Sommer 1968 erschien, war für Johnny Cash ein Neubeginn. Vorab zum Album wurde eine Single mit der Live-Version des "Folsom Prison Blues" veröffentlicht. Der Song stieg schnell die Charts hoch. Bis zum 5. Juni 1968. Denn da wurde Robert Kennedy erschossen - und mit einem Male wollten die Radiostationen das Lied, in dem ein Mann erschossen wird, nur um ihn sterben zu sehen, nicht mehr spielen. Johnny Cash wurde bedrängt, einer neuen Version, auf der die ominöse Zeile fehlt, seine Zustimmung zu geben.
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Ich musste eine Stunde am Telefon betteln und flehen. Ich redete mit Engelszungen auf ihn ein und bekniete ihn, mich diese Platte überarbeiten zu lassen. Doch er wollte das nicht.
So zitiert Michael Streissguth den PR-Manager Tom Noonan, dem die Aufgabe zugefallen war, Johnny Cash zu überreden. Am Ende des Telefonats war es ihm gelungen - und bald darauf lieferte CBS neu gepresste, zensierte, Singles an die Radiostationen.
Album schreibt Musikgeschichte
Der Song kletterte erneut die Hitparaden hoch und zog das dazugehörige Album mit. Im August 1968 waren von der LP bereits 300.000 Stück verkauft. Zwei Monate später bekam die Platte Gold verliehen - für mehr als 500.000 verkaufte Exemplare.
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Das Album signalisierte eine Wiederauferstehung, die Cashs Platz in der Musikgeschichte neu definierte. Fortan sollte er ein für alle Mal nicht nur als der Poet des kleinen Mannes gelten, sondern auch als eine titanenhafte Gestalt in der populären Musik. Das Album eröffnete Cash immense Möglichkeiten und führte die Countrymusik - das musikalische Genre, in dem er zuhause war - zu neuen Höhen.
Vom Insassen komponiert
Die Platte "Johnny Cash at Folsom Prison" endet mit einem Song, der den Höhepunkt des Vormittags darstellt. "Greystone Chapel", geschrieben von Glen Sherly, einem Insassen des Folsom-Gefängnisses. "Ich hoffe, wir werden deinem Song gerecht, Glen", sagte Johnny Cash. Dann wandte er sich der Band zu und fragte "In welcher Tonart spielen wir das noch mal?"
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Als Cash diesen Song sang, schlug ihm der Applaus aus der Menge entgegen wie ein gewaltiger, unerwarteter Donnerschlag. Während der gesamten Show war die Publikumsreaktion nie so entschieden, so ernsthaft gewesen. Im tosenden Applaus beugte sich Cash von der Bühne hinunter, um Sherley die Hand zu schütteln.
Service
Michael Streissguth, "Johnny Cash at Folsom Prison - Die Geschichte eines Meisterwerks", aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider, Rogner & Bernhard