Neue Produktion des theatercombinats
Diese Frau verwischt die Grenze zwischen Theater, Performance und Tanz und steht für kompromisslose Produktionen, die dem Publikum einiges abverlangen: Die deutsche Regisseurin Claudia Bosse hat sich mit ihrer Kompanie theatercombinat einen fixen Platz in der österreichischen Off-Szene erobert.
8. April 2017, 21:58
2009 erhielt Claudia Bosse für ihre Inszenierung von Elfriede Jelineks "bambiland" den Nestroy für die beste Off-Produktion. Seither arbeitet Bosse weiter an ihrer eigenen, um nicht zu sagen eigenwilligen Theatersprache. Jetzt meldet sie sich und ihre Kompanie theatercombinat mit einer neuen Produktion zurück. Sie heißt "what about catastrophes?" und beschäftigt sich mit den großen Katastrophenerzählungen der Menschheit - ein Theaterabend, der einen Bogen von der antiken Tragödie bis zu tagesaktuellen Schlagzeilen spannt. Heute Abend findet die Uraufführung von "what about catastrophes?" in der Halle G im Museumsquartier statt.

(c) Claudia Bosse
Kulturjournal, 10.04.2014
Kleine, hell leuchtende Lautsprecher hängen von der Decke wie Lametta. Aus ihnen dringt ein anonymes Gemurmel und Geraune, das man kaum versteht. Wer spricht hier eigentlich? Es sind Menschen, die aus Krisenherden berichten, über Terrorgefahr nachdenken, über Flüchtlingsdramen und geopolitische Umwälzungen. Ihre Zeugnisse sind wie eine Klangtapete, die diesen Abend einkleidet. "what about catastrophes" heißt die neueste Produktion von Claudia Bosses Kompanie theatercombinat, gewidmet ist sie den großen Katastrogenerzählungen der Geschichte: Vom atomaren Supergau bis zur Finanzkrise, vom Flugzeugunglück bis zum verheerenden Erdbeben.
Katastrophen geistern durch den Blätter- und Medienwald. Katastrophen machen Auflage und erzeugen Angstlust. Doch Claudia Bosse geht in ihrem Befund weiter, denn am Anfang, so könnte man in biblischer Abwandlung sagen, am Anfang war die Katastrophe.
Katastrophenerzählungen der Menschheit
Claudia Bosse schöpft wieder einmal aus dem Vollen, denn hier wird einiges durch den Fleischwolf gedreht und verwurstet. Der Textkorpus also, mit dem Bosse arbeitet, ist groß: Zitiert wird die Apokalypse des Johannes, Walter Benjamin, antike Tragödientexte und vieles mehr.
Doch die Wirkungsmacht der Katastrophe liegt nicht zuletzt in ihrer Bebilderung: die brennenden Türme vom 11. September, die Verletzten und Verstümmelten des syrischen Bürgerkriegs, verwaiste Megacitys wie wir sie aus den Katastrophenfilmen Hollywoods kennen. Wie sieht sie aus, die Welt nach der Katastrophe? Film- und Fernsehbilder liefern das optische Raster zum anonymen Katastrophengeschrei, das uns täglich umgibt.
Im Gegensatz dazu herrscht auf Claudia Bosses Bühne ein strenges Bilderverbot. Denn Bosse setzt auf die Körper ihrer fünf Akteure. "Ich will mich nicht der Ikonographie der Katastrophe widmen, über die man eigentlich nur die mediale Inszenierung der Katastrophe reproduziert", sagt Claudia Bosse. Claudia Bosse schafft eindrucksvolle Bühnenmomente: Streckenweise werden die Körper ihrer fünf Akteure zur Skulptur und man erinnert sich an Erwin Wurms "one minute sculptures". Da verschwindet ein Tänzer kopfüber in einem Karton, da deformiert ein anderer seinen Körper mit Hilfe von Schaumstoffmatten und Nylonstrümpfen.
Wie futuristische Ritter sehen sie aus, diese Akteure, die sich gemeinsam mit Claudia Bosse für den apokalyptischen Showdown rüsten. Doch am Ende, nach der Katstrophe also, ist der Körper auf sich selbst zurückgeworfen. Es bleibt das nackte Leben, der Schrei, der unartikulierte Laut, der Atem.
Das nackte Leben
Claudia Bosse sucht auf der Bühne Grenzbereiche auf. "Der Atem durchströmt den Körper. Solange wir atmen, leben wir. Mich interessiert, was passiert, wenn man bewusst atmet. Was ist, wenn dieser körperliche Automatismus einer Partitur folgt, die gleichzeitig über die Atemmuskulatur eine Choreographie des Körpers wird?", fragt Claudia Bosse.
Eine gefühlte Ewigkeit hört man nichts als den Atem der fünf Akteure. Halb entblößt stehen sie da, krümmen sich, sind irgendwann völlig entrückt und das Publikum mit ihnen. Das alles hat man schon einmal gesehen, das alles ist nicht grundlegend neu, eindringlich wirkt es trotzdem. "what about catastrophes" ist Claudia Bosses Kommentar zum Krisen- und Katastrophengeschrei, das uns Tag für Tag umgibt. Wer sich darauf einlassen kann, erlebt einen intensiven, wenn auch fordernden Theaterabend.