Eine Analyse

Der islamische Faschismus

"Religiöser Faschismus in Ägypten": So lautete das Thema eines Vortrags, den Hamed Abdel-Samad am 4. Juni 2013 in Kairo hielt. Der Publizist und Politologe vertrat darin die These, "dass der Islam die religiöse Vielfalt auf der arabischen Halbinsel beendet habe, von seinen Anhängern unbedingten Gehorsam verlange, keine abweichenden Meinungen dulde und nach der Weltherrschaft strebe".

Abdel-Samad sprach von faschistoidem Gedankengut im Islam, von "Islamofaschismus". Daraufhin debattierte eine Gruppe islamischer Gelehrter, Muslimbrüder und Salafisten, im Fernsehen über diese Thesen, stufte sie als Verunglimpfung des Islam ein und fällte ein einstimmiges Urteil: Hamed Abdel-Samad habe den Propheten beleidigt und sei mit dem sofortigen Tod zu bestrafen. Im Internet mehrten sich die Mordaufrufe, ein Foto mit dem Schriftzug "Wanted Dead" kursierte. Hamed Abdel-Samad musste untertauchen, seit seiner Rückkehr nach Deutschland steht er unter Polizeischutz.

"Die Muslimbrüder sind gestürzt in Ägypten, aber die gleiche Geisteshaltung ist nach wie vor gegenwärtig in Ägypten", sagt Abdel-Samad. "Nach wie vor werden Menschen verfolgt und vor Gericht gestellt und ins Gefängnis gesteckt wegen Verunglimpfung der Religion, weil sie den Prophet oder die Religion kritisiert haben."

Mit der gegen ihn verhängten Todes-Fatwa, in der er letztlich die Bestätigung seiner Thesen sieht, beginnt Hamed Abdel-Samads viel Zündstoff bergendes Buch, das vom Koran und der Überlieferung Mohameds einen Bogen schlägt bis hin zu den Islamisten der Gegenwart - und nicht erst bei diesen Grundzüge des Faschismus zu erkennen meint.

"Der Islam hat durchaus eine positive spirituelle Seite, die für Millionen von Menschen sehr wichtig ist, die Trost spendet", so Abdel-Samad. "Die politische Seite ist aber sehr veraltet, sehr absolutistisch, und sie stört uns im 21. Jahrhundert. Der Islam will nicht Teil der Demokratie werden, sondern will das politische System von oben verordnen und bestimmen. Für den Islam ist nicht der Mensch der Gesetzgeber, sondern Gott, und seine Gesetze sind nicht verhandelbar und veränderbar, sie sind für immer und ewig gültig."

Der Ur-Faschismus

Im ersten Kapitel erläutert Abdel-Samad, was für ihn Faschismus ausmacht und wo er Parallelen zum Islamismus sieht. Sich berufend auf eine Schrift Umberto Ecos, zählt er Hauptmerkmale des Ur-Faschismus auf: Dazu gehören das strikte Befolgen der offenbarten Botschaft, die Ablehnung von Moderne und Aufklärung sowie von jeder Art von Kritik, die Angst vor dem Fremden und der Hang zum Irrationalismus, aber auch Verfolgungswahn und das permanente Gefühl des Zu-kurz-gekommen-Seins.

So wie das faschistische Deutschland und Italien "verspätete", weil erst spät bzw. nicht wirklich geeinte, Nationen gewesen seien, so seien auch die meisten muslimischen Länder verspätete Nationen mit einer verspäteten Religion, ist doch der Islam erst sechshundert Jahre nach dem Christentum entstanden, was immer wieder Ressentiments und Minderwertigkeitsgefühle ausgelöst hätte - und faschistoide Allmachtsphantasien.

Wie der Faschismus nicht nur eine politische Ideologie, sondern auch eine Religion sei, sei der Islam nicht nur eine Religion, sondern auch eine politische Ideologie, sagt Abdel-Samad. "Und da vergleiche ich Faschismus und Islamismus auf drei Ebenen. Die erste Ebene ist die Ideologie, die Wegbereiter für die Gewalt ist. Die zweite Ebene ist die Organisations-struktur mit dem charismatischen Führer in der Mitte, mit der Hierarchie, mit den Initiationsritualen, mit den Geheimnissen, mit den Terrormilizen, die auch die Muslimbruderschaft in den 30er Jahren nach dem Vorbild von SA und SS gegründet haben. Die dritte Ebene des Vergleiches sind die Ziele: Weltherrschaft, Sieg über die Ungläubigen, vor allem über die Juden."

Die Muslimbruderschaft

Ausführlich rekapituliert der Autor die Geschichte der ebenso umstrittenen wie undurchsichtigen Muslimbruderschaft. Gegründet 1928 von dem Arabischlehrer Hassan Al-Banna, einem Bewunderer von Hitler und Mussolini, hat sie heute Vertretungen in mehr als 70 Staaten.

Der Prophet ist unser Anführer, der Koran unsere Verfassung, der Dschihad unser Weg, und das Sterben für Allah ist unser höchstes Ziel, so zitiert der Autor, einst selbst Anhänger der Muslimbruderschaft, ihr Motto. Absoluter Gehorsam sei bis heute ihr zentrales Prinzip. Die Muslimbrüder lehnten eine weltliche Verfassung ab und propagierten die Scharia. Dass sie nach dem Arabischen Frühling beim Volk gut angekommen waren, läge daran, dass sie von dem politischen Stillstand profitierten und sich geschickt als Alternative verkauften:

"Die Islamisten übernahmen Aufgaben da, wo der Staat sich zurückgezogen hatte. Kümmerten sich um die Armen, um die Kranken, machten diese Leute auch von ihnen abhängig, sie haben nicht Armut bekämpft, sondern Armut geschickt verwaltet. Und dadurch konnten sie die Menschen mobilisieren, sie zu wählen, denn sie schienen ja eine Alternative zu sein. Man hat aber die Demokratie falsch verstanden. Sie dachten, jetzt haben wir die Wahlen gewonnen, jetzt bestimmen wir alles."

Hamed Abdel-Samad hält es für unwahrscheinlich, dass die Muslimbrüder in naher Zukunft wieder an die Macht zurückkehren – hält sie aber nichtsdestotrotz für gefährlich. Aus ihr seien nicht nur viele militante Gruppen hervorgegangen, wie Al-Qaida. Die in Ägypten mittlerweile verbotene und von Massenhinrichtungen bedrohte Muslimbruderschaft sei selbst eine Terrororganisation:

"Sie waren für zahlreiche Terroranschläge nach dem Sturz von Mursi verantwortlich, sie steckten Kirchen in Brand, töteten Christen, töteten Polizisten, sie haben zahlreiche Menschen auf dem Gewissen. Das rechtfertigt allerdings nicht dieses Justizmassaker. Über 500 Menschen zum Tode zu verurteilen nach zwei Tagen Verhandlung, ist absurd."

"Saat der Intoleranz"

Doch nicht erst die Muslimbruderschaft habe die faschistoiden Züge des politischen Islam zu verantworten. Diese seien bereits im Ur-Islam angelegt, so Abdel-Samads zentrale These.

Mohamed habe von einem Großarabischen Reich mit der Kaaba als religiösem Zentrum geträumt, er habe seine politischen Gegner hinrichten, Medina von Juden und Christen säubern lassen – und so die "Saat der Intoleranz in das Herz des Islam" gepflanzt.

"Es waren nicht die Islamisten, die das Dschihad-Prinzip zum ersten Mal erfunden haben, das hat der Prophet eingeführt. Es waren nicht die Islamisten, die die ersten Eroberungskriege des Islam geführt haben, das waren der Prophet und seine Gefährten. Es waren nicht die modernen Islamisten, die die Welt in Gläubige und Ungläubige aufgeteilt haben und zum Mord an Ungläubigen aufgerufen haben, das ist im Urislam verankert. Dieser Machtanspruch, dieses Gefühl der Auserwähltheit, dass die Muslime dem Rest der Welt gegenüber überlegen sind, die Idee des blinden Gehorsams im Islam, das Gottesbild an sich – ein eifersüchtiger Gott, der keine Götter neben sich duldet, der seine Anhänger 24 Stunden am Tag überwacht: Das ist die Uridee des Islam, das ist der politische Gehalt des Islam."

Hamed Abdel-Samads Buch ist eine Abrechnung nicht nur mit dem Islamismus, es ist eine Abrechnung mit dem Islam. Dieser sei sui generis faschistoid: intolerant, kritikfeindlich, zur Gewalt aufrufend.

Hamed Abdel-Samad hält ihn für nicht reformierbar – und für nicht vereinbar mit der Demokratie. Den - oft beschworenen - "moderaten" Islam vergleicht er mit einem Mann, "der einen neuen Mercedes kauft, den Motor entfernt und den Wagen anschließend von zwei Eseln ziehen lässt". Wollten sich die arabischen Staaten für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wappnen, bräuchten sie weniger Islam - und mehr Aufklärung, weniger Religion - und mehr Säkularisierung.

"Aber ich bin ein Realist, und ich sehe, dass die Probleme viel schneller wachsen als die Kapazität, diese Probleme zu lösen in der arabischen Welt. Der Fanatismus wächst, die Frustration der jungen Menschen wächst, die demografische Situation ist katastrophal, mit über 70% der Bevölkerung unter 30 Jahren und die Hälfte davon keine Arbeit. Das sind die besten Voraussetzungen für den islamischen Faschismus."

Andere Denkweisen

In dem Kapitel "Der Aufstand der Ungläubigen" stellt Abdel-Samad den religiösen Eiferern junge Araber gegenüber, die er bei seinen Reisen kennengelernt hat – Menschen, die sich offen zum Atheismus bekennen, die nicht mehr an einen islamischen Staat glauben, die Facebook-Seiten für Konfessionslose initiieren, für die Gleichberechtigung der Frau eintreten und für Glaubens- und Meinungsfreiheit, die die Unantastbarkeit der Religion in Frage stellen – und gerade deshalb ein mehr als gefährliches Leben leben.

"Sie können sich nicht so zeigen, und deshalb habe ich auch diese Interviews mit ihnen geführt, um zu zeigen, dass es auch andere Gedanken und andere Lebensweisen auch in der arabischen Welt gibt. Aber es bleibt ein innerer Kampf der Kulturen zwischen dieser nachwachsenden Generation, die anders leben will, und den veralteten, verrosteten Strukturen, die noch viel Macht und viel Geld haben", so Abdel-Samad.

Hamed Abdel-Samads Buch ist keine um Differenziertheit bemühte wissenschaftliche Studie, es ist eine Streitschrift, ein "Weckruf", wie er selbst sagt. Man mag ihm vorhalten, einen vielleicht viel zu ungenau gefassten Begriff von Faschismus zu vertreten, eine vielleicht viel zu einseitige Interpretation des Koran und des Charakters des Propheten, eine vielleicht allzu düstere und pessimistische Einschätzung, was den Islam in Europa und die Integration der Muslime in demokratischen Staaten betrifft.

Was man dem Autor nicht vorhalten kann, sind mangelnde Deutlichkeit und Unentschiedenheit. Hamed Abdel-Samad äußert sich unmissverständlich und vehement, dass er dabei möglicherweise rechtspopulistischen Islamkritikern in die Hände spielt, nimmt er in Kauf. Bleibt zu wünschen, dass dieses provokante Buch, dass keine Reaktion auf die Fatwa gegen ihn ist, sondern letzten Sommer schon so gut wie fertig war, tatsächlich einen Dialog auslöst – und nicht gegenwärtige Ressentiments und Polarisierungen weiter verstärkt.

Service

Hamed Abdel-Samad, "Der islamische Faschismus. Eine Analyse", Droemer Verlag, München

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