Der NSA-Komplex
Wem angesichts der vielen Abkürzungen und Decknamen der Überwachungsprogramme der Kopf schwirrt, der kann die Geschichte in kompakter Form und mit weiteren Hintergrundinformationen nun im Buch "Der NSA Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung" der beiden "Spiegel"-Journalisten Marcel Rosenbach und Holger Stark nachlesen.
8. April 2017, 21:58
"USA befahlen Telefonfirma, Daten zu Millionen von Anrufen zu übergeben", lautete übersetzt die erste Schlagzeile zur Massenüberwachung durch die National Security Agency der USA und den britischen Geheimdienst GCHQ. Sie stand am 6. Juni 2013, einem Donnerstag, auf der Titelseite der britischen Tageszeitung "The Guardian". Der Artikel stammte von einem gewissen Glenn Greenwald.
Die Geschichte war empörend, aber kaum jemand ahnte wohl zu diesem Zeitpunkt, dass sie der Anfang der größten Geheimdienst-Enthüllung aller Zeiten war. Erst am Montag drauf veröffentlichten Glenn Greenwald, Ewan MacAskill und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras im "Guardian", wer diese Überwachungspraktiken geleakt hatte: ein Mitarbeiter des NSA-Dienstleisters Booz Allen Hamilton namens Edward Snowden.
Viele mag verwundert haben, dass der Whistleblower so rasch an die Öffentlichkeit ging, doch die NSA wusste ohnehin bereits, wer für die Veröffentlichungen verantwortlich war, schreiben die beiden "Spiegel"-Journalisten Marcel Rosenbach und Holger Stark in der Einleitung ihres Buchs "Der NSA Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung". Der damalige Chef der NSA, Keith Alexander, war gerade in Berlin zu Besuch. Der Präsident des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, fragte den Kollegen, wie er die Enthüllungen beurteile.
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Der Leaker, antwortet Alexander auf Maaßens Frage schließlich, sei nur "ein kleiner Verräter aus Hawaii". Es ist eine abfällige Bemerkung, ein Satz, der viel aussagt über die Denkweise der Washingtoner Elite.
Von den Vorgängern gelernt
Wer dieser "kleine Verräter" ist und warum er zum Aufdecker wurde, beschreiben Rosenbach und Stark im ersten Kapitel ihres Buchs: Edward Snowden, Sohn von Regierungsangestellten aus dem Raum Washington, war ein patriotischer junger Mann, der sich sein umfangreiches Wissen über Computer und Netzwerke selbst beigebracht hat. Sein Ziel ist, Regierungsangestellter zu werden.
Er arbeitet für die Armee, dann in Genf für die CIA. Dort erlebt er unter anderem, wie die CIA einen Schweizer Bankier erpresst, damit er mit ihr kooperiert. Immer öfter erkennt er, dass seine Moralvorstellungen nicht zur Arbeitsweise amerikanischer Geheimdienste passen. Er wechselt zu Booz Allen Hamilton und beginnt, Beweise dafür zu sammeln, dass die NSA weltweit Telefon und Internet überwacht und Computer manipuliert, um Menschen auszuspionieren. Und zwar nicht nur potenzielle Terroristen oder Militärs von verfeindeten Staaten, sondern alle Bürger.
Die Autoren erklären auch, warum Snowden so viele Dokumente über die Arbeitsweise der NSA sammelte und warum er sie Journalisten übergeben hat, statt sie bei Wikileaks zu veröffentlichen oder Gesetzesübertretungen intern anzuprangern: Er hatte gesehen, was mit früheren Whistleblowern passiert war, wie dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Thomas Drake oder Bradley Manning. Sie wurden finanziell ruiniert oder gar gefoltert und zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.
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Snowden hat Drakes Schicksal in allen Einzelheiten studiert, ebenso wie jene von Binney und Wiebe. "Nach dem, was mit uns passiert war, wusste er, dass er eine Art Dokumentation der NSA-Aktivitäten vorlegen musste, damit man ihm glaubt", sagt Drake, der Snowden in Moskau getroffen hat.
Cyberwars
In ihrem Buch beschreiben Marcel Rosenbach und Holger Stark eine Vielzahl der Überwachungs-Aktivitäten der NSA und des britischen Geheimdienstes GCHQ. Wo immer es möglich ist, werden Quellen genannt, vieles davon kann im Web nachgeprüft werden. Sie geben damit den zahlreichen Kritikern Konter, die sagen, das könne doch nicht wahr sein, dass die NSA uns alle abhört.
Die beiden Journalisten beschreiben im Detail, mit welchen Techniken und welchem immensen personellen und finanziellen Einsatz NSA und GCHQ elektronische Kommunikation, Computer, Server und Standortinformationen ausspionieren können. Im Visier stehen dabei Regierungen, Organisationen wie die OPEC, die Vereinten Nationen oder die NATO, Firmen und ganz normale Bürger.
Beschrieben werden auch der erste globale Abhörskandal "Echelon", der Ende der 1990er Jahre an die Öffentlichkeit gelangt war, und der Computerwurm "Stuxnet", der im Jahr 2010 die Zentrifugen einer Urananreicherungsanlage im Iran zerstört hat.
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"Stuxnet" war also ein Angriff der USA und Israels auf eine kritische Infrastruktur des Iran und "Shamoon" offenbar der Vergeltungsschlag. Er sollte nicht nur wichtige Energieproduzenten treffen, sondern auch einen der größten Kunden, die Vereinigten Staaten: Willkommen im Cyberkrieg des 21. Jahrhunderts!
Marcel Rosenbach und Holger Starks Buch über den NSA-Komplex macht damit deutlich, dass es nicht nur um die Geschichte eines "kleinen Verräters" namens Edward Snowden geht, sondern um ein Thema, das uns noch eine ganze Weile beschäftigen wird. Man kann dieses Buch also durchaus als Pflichtlektüre empfehlen. Trotz vieler technischer Details ist es auch für Nicht-Techniker gut lesbar und im Anhang findet man noch eine Chronik, ein Glossar und ein Register.
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Marcel Rosenbach, Holger Stark, "Der NSA-Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung", Deutsche Verlags-Anstalt