Chto Delat: Erinnern und Auslöschen

Das russische Künstlerkollektiv Chto Delat ist für seine kritischen und oft nicht minder humorvollen Interventionen bekannt. Jetzt befindet sich die Gruppe auf Einladung der Wiener Festwochen in Österreich. Ab Sonntag wird die Gruppe im Rahmen der Programmschiene "Into the City" einen Monat lang ein Festival am Wiener Schwarzenbergplatz veranstalten.

Immer wieder hat die Gruppe Chto Delat dem System Wladimir Putins auf den hohlen Zahn gefühlt und mit Sorge beobachtet, wie Meinungsfreiheit und demokratische Werte untergraben werden. Mitte März erregte die Gruppe großes mediales Aufsehen, als sie ihre Teilnahme an der europäischen Wanderbiennale manifesta als Zeichen des politischen Protests zurückzog. Die manifesta findet in diesem Jahr ja in St. Petersburg statt – in jener Stadt also, aus der Chto Delat kommt.

Statue eines Soldaten, Helm, Faust

(c) Benoit Bollon

Kulturjournal, 16.05.2014

Es ist versteckt hinter der Fontäne eines Springbrunnens und viele Wiener und Wienerinnen haben es wohl noch nie bewusst wahrgenommen: das Heldendenkmal der Roten Armee am Schwarzenbergplatz – im Volksmund besser bekannt als "Russendenkmal", erbaut zu Ehren der gefallenen Soldaten, die im April 1945 in der Schlacht um Wien gefallen sind. Stellvertretend für die vielen Toten thront hoch oben, auf einer Säule, ein Rotarmist, bewaffnet mit Schild und Maschinengewehr.

Das Heldendenkmal ist der erste Großbau der Zweiten Republik. Trotzdem beschäftigte man sich hierzulande bisher kaum damit. Das ändert sich jetzt. Einen Monat lang wird das russische Künstlerkollektiv Chto Delat am Schwarzenbergplatz ein Festival veranstalten, das sich der Politik des Erinnerns widmet.

"Dieses Thema ist immer noch brisant. Künstler waren immer schon ein wichtiger Teil der Denkmalkultur. Sie haben Denkmäler geschaffen und entworfen. Man muss sich fragen, was Kunst im öffentlichen Raum leisten kann und leisten soll. Denken Sie zum Beispiel an die Ukraine: Statuen von Lenin oder von sowjetischen Soldaten sind attackiert worden. Natürlich ist das ein bisschen archaisch, aber gleichzeitig stören die Geister der Vergangenheit unsere Zukunft", sagt Dimitri Vilensky von Chto Delat.

Gestürzte Denkmäler und nationale Helden

"Face to Face with the Monument" heißt das Festival, das die Gruppe Chto Delat konzipiert hat, in Erscheinung treten werden befreundete Künstler und Künstlerinnen, die sich dem Thema des Monumentalen nähern. Die russische Künstlerin Aliona Petite hat den Soldaten am Schwarzenbergplatz quasi von seinem Sockel geholt und gleich gegenüber eine Skulptur aufgestellt. Der Soldat trägt in ihrer Arbeit kein Maschinengewehr, stattdessen ballt er die Faust zum antifaschistischen Gruß.

In einem Container am Platz ist eine Collage entstanden: Zu sehen sind Bilder von gestürzten Leninstatuen, aber auch die Bilder eines Denkmals von Mies van der Rohe errichtet zu Ehren Karl Liebknechts. Einst stand es in Berlin, doch die Nazis ließen es abreißen. Denn die Geschichte des Erinnerns ist auch die Geschichte der Auslöschung.

"Wir versuchen, einen Dialog anzuregen, und wir werden fragen, wie Erinnerungspolitik in der Gesellschaft heute funktioniert. Wir wollen die Besucher, ja die Gesellschaft im Allgemeinen mit schwierigen Fragen konfrontieren", sagt Dimitri Vilensky.

Eröffnet wird das Festival "Face to Face with the Monument" diesen Sonntag. Zum Auftakt ist eine Performance des Künstlerduos bankleer zu sehen, die die Auswirkungen des gegenwärtigen Finanzsystems auf unser Leben thematisiert. Ebenfalls am Sonntag tritt das Schwabinggrad-Ballett aus Hamburg auf, ein Kollektiv, das in der Vergangenheit mit aktionistischem Witz und politischer Spitzfindigkeit aufgefallen ist. Unter anderem attackierte das Schwabinggrad-Ballett die deutsche Botschaft in Athen und zwar mit einem hart gekochten Ei.

Wo es Macht gibt, gibt es demnach auch Widerstand. Und genau dafür steht das Künstlerkollektiv Chto Delat seit seiner Gründung 2003. Der Befund der Gruppe: Das oligarchisch kapitalistische Russland Wladimir Putins fußt auf einem soliden Fundament, denn die Erinnerungspolitik der neuen Machthaber schließt nahtlos an jene der alten an. Nikolay Olenykov von Chto Delat beobachtet die jüngsten Entwicklungen kritisch.

Politische Spitzfindigkeit und aktionistischer Witz

"Putin verwendet dieselbe Rhetorik und benützt dieselben Gesten und Heldengeschichten wie die sowjetischen Machthaber. In der Sowjetunion gab es eine ausgeprägte Erinnerungskultur – vor allem was die Geschichte des Zweiten Weltkrieges betrifft. Die Heldenverehrung der Sowjet-Ära ist immer noch in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. Putin bezieht sich darauf und sagt: Die Macht der Sowjetunion ist immer noch die Macht Russlands. Russland tritt das Erbe der im Zweiten Weltkrieg siegreichen Sowjetunion an. Das ist Putins Botschaft", sagt Nikolay Olenykov über die Gedenkkultur im Russland der Gegenwart. Wie sich die Österreicher und Österreicherinnen mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, darüber wird man in den nächsten Wochen am Wiener Schwarzenbergplatz mehr erfahren, wenn es heißt: "Face to Face with the Monument".