Chto Delat?
"Chto Delat?", "Was also tun?", heißt das Hauptwerk Wladimir Iljitsch Lenins, der 1902 den Schulterschluss von Bildungsbürgertum und Proletariat forderte. Chto Delat? heißt auch ein Künstlerkollektiv aus Russland. Seit vergangenem Sonntag veranstaltet Chto Delat? das Festival "Face to Face with the Monument" am Wiener Schwarzenbergplatz.
26. April 2017, 12:23
(c) Benoit Bollon
Kulturjournal, 20.05.2014
2003 wurde die Gruppe von Künstlern, Kunstkritikern und Philosophen gegründet. Chto Delat verbindet politische Theorie, Kunst und Aktivismus und ist im deutschsprachigen Raum mittlerweile bekannter als in Russland. Seit vergangenem Sonntag veranstaltet Chto Delat auf Einladung der Wiener Festwochen das Festival "Face to Face with the Monument" am Wiener Schwarzenbergplatz. Einen Monat lang wird neben dem Heldendenkmal der Roten Armee performt und diskutiert. Im Fokus stehen gewichtige Fragen: Welche Denkmäler sollen heute noch gebaut werden? Wie wird Erinnerung zu Geschichte und wie das Monumentale Teil einer nationalen Erzählung?
Zwischen Spaßguerilla, Agitprop und politischer Intervention: Das Hamburger Schwabinggrad Ballett erfrischt die Szene des politischen Protests seit über 10 Jahren mit den Mitteln der künstlerischen Performance und einer Portion ernst gemeintem Nonsens. Kunst- und Theaterräume sind nicht der Ort, an dem das Kollektiv zu Hause ist, die Truppe will in den öffentlichen Raum ausstrahlen. Letzten Sonntag trat das Schwabinggrad Ballett am Wiener Schwarzenbergplatz auf, gemeinsam mit afrikanischen Flüchtlingen aus Lampedusa. Thematisiert wurde das Monumentale in der Politik, denn, wir wissen es längst: Die Festung Europa macht ihre Schotten dicht! Rette sich also, wer kann!
Spaßguerilla trifft Agitprop
In grauen und roten Uniformen fegten 16 Akteure und Akteurinnen über den Schwarzenbergplatz. Zeitzeugenberichte von afrikanischen Flüchtlingen, Exkurse über Sicherheitstechniken, Berichte der EU-Grenzschutzagentur frontex wurden da durch den Fleischwolf gedreht und zu Bausteinen einer Performance. Ein politisches Statement gegen die Politik des Ausschlusses und eine Erinnerung daran, dass an den Gestaden Europas Tausende Flüchtlinge ertrunken sind.
"Monumentalität ist auf kollektive Rituale angewiesen. Auch ein riesiges Monument wird unsichtbar, wenn die Gesellschaft sich nicht auf seine Botschaft bezieht. Deshalb sagen wir immer: Sich zu erinnern, bedeutet zu kämpfen und umgekehrt erinnert man sich an die vergangene Generation, wenn man kämpft", sagt Dimitri Vilensky von Chto Delat. Das russische Künstlerkollektiv hat seine Kommandozentrale bis 14. Juni am Wiener Schwarzenbergplatz aufgeschlagen.
"Face to Face with the Monument" heißt das Festival, das das Kollektiv auf Einladung der Wiener Festwochen am Schwarzenbergplatz veranstaltet. Im Zentrum steht die Frage, wie nationale Erinnerungspolitik funktionieren kann und soll. Dafür hat sich das Kollektiv einen besonderen Platz ausgesucht: Performt und diskutiert wird direkt vor dem Heldendenkmal der Roten Armee, das 1945 am Wiener Schwarzenbergplatz erbaut worden ist. Bis heute, sagt Dimitri Vilensky, spiele der Sieg der Roten Armee über das faschistische Deutschland eine große, ja eine zentrale Rolle in der russischen Gedenkkultur. "Die Konstruktion der russischen Identität fußt ganz maßgeblich auf dem 'Tag des Sieges' am 9. Mai, dem Tag, an dem die Rote Armee Europa befreit hat. So zumindest lautete die Lesart der Sowjetunion. Man muss sich fragen, was ein Monument ist und was Kunst im öffentlichen Raum leisten kann und leisten soll", sagt Dimitri Vilensky von Chto Delat.
Das Raster der großen nationalen Erzählung
Gerade in den letzten Monaten war das internationale Medieninteresse an Chto Delat groß. Ende Juni eröffnet die "manifesta", die europäische Wanderbiennale, in St. Petersburg, kuratiert vom Grand Seigneur der deutschen Kunstszene, Kaspar König. König will in den Räumlichkeiten der weltberühmten Eremitage ganz große Namen zeigen: Wolfgang Tilmanns zum Beispiel, Joseph Beuys, Maria Lassnig und Cindy Shermann.
Auf die aktuelle politische Großwetterlage, die Invasion der Krim, das imperiale Säbelrasseln Wladimir Putins reagierte der Kurator und einstige Direktor des Museum Ludwig in Köln nicht. Für die Gruppe Chto Delat, die als einzige russische Gegenwartskünstler bei der manifesta teilnehmen hätte sollen, Grund genug zum Boykott aufzurufen. "Soweit ich mich erinnere, haben viele Beobachter gesagt, dass nach den olympischen Spielen in Sotschi etwas passieren wird. Tatsächlich verschärfte sich die Situation in der Ukraine, nachdem die Spiele zu Ende waren. Nach der russischen Invasion der Krim war für uns klar, dass die manifesta sich politisch positionieren muss. Wir haben also einen offenen Brief publiziert und den Kurator Kaspar König gebeten, mit uns in Dialog zu treten. Die Antwort war ohne Aussage, ja arrogant, weil man politische Positionierung an sich mit billiger Provokation gleichsetzte. Also haben wir beschlossen, unsere Teilnahme zurückzuziehen", sagt Dimitri Vilensky über die diesjährige manifesta. Vorerst macht die Gruppe in Wien Station, wo bis 14. Juni das Festival "Face to Face with the Monument" stattfindet.