"Schuldig geschieden" auf Kosten der Kinder
Justizminister Brandstetter hat für die zweite Hälfte der Legislaturperiode Diskussionen über das Scheidungsrecht angekündigt. Schon jetzt machen die Familienrichter Druck: Sie wollen das Verschuldensprinzip bei Scheidungen abschaffen. Denn die Gesetzeslage sorge dafür, dass sich Rosenkriege auf Kosten der Kinder unnötig zuspitzen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 31.5.2014
Ehestreit wirkt sich auf Kinder aus
Dass einer alleine schuld sein solle, wenn eine Ehe in die Brüche geht, sei nicht mehr zeitgemäß, sagt Familienrichter-Sprecherin Doris Täubel-Weinreich. Da seien sich auch alle Paartherapeuten einig. Die derzeitige Gesetzeslage trage zu einer für alle belastenden Zuspitzung bei Scheidungen bei: "Es ist sehr erniedrigend für die Leute, wenn sie ihr ganzes Eheleben und Intimleben vor Richtern, Anwälten und Rechtspraktikanten ausgebreitet wird."
Denn nur wer schuldlos geschieden wird, hat Anrecht auf den vollen Ehegatten-Unterhalt. Wenn sich ein Ehepaar also bei der Scheidung nicht einigt, ob und wie hoch der Unterhalt sein soll, dann muss vor Gericht gestritten werden, wer schuld ist an der Scheidung, sagt Täubel-Weinreich. Und das gehe oft auch auf Kosten der Kinder, speziell wenn parallel ein Obsorgeverfahren läuft: "Im Scheidungsverfahren muss man quasi auf der einen Seite den anderen möglichst schlecht dastehen zu lassen, auf der anderen Seite muss man kooperativ sein, um gemeinsam Eltern bleiben zu können. Das geht sicher zu Lasten der Kinder." Wenn Eltern um die Verschuldensfrage streiten würden, könnten sie nicht zugleich möglichst konsensual gemeinsam als Eltern auftreten.
Verschuldensprinzip nicht mehr zeitgemäß
In den meisten anderen Staaten Europas gelte das Verschuldensprinzip beim Ehegatten-Unterhalt längst nicht mehr, sagt die Sprecherin der Familienrichter. Die Regelung sei auch nicht sehr fair: "Wenn die Frau an den Schluss einer langjährigen Ehe eine Eheverfehlung setzt, der Mann aber die ganze Zeit nicht der Netteste war, dann könnte es sein, dass sie aufgrund eines Lapsus den ganzen Ehegatten-Unterhalt verliert. Das sollte nicht so sein." Umgekehrt sollte es bei einer kurzen Ehe ohne Kinder nicht so sein, dass eine Frau lebenslang Unterhalt vom Mann bekommt, sagt Täubl-Weinreich.
Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) sieht beim Eherecht zwar nach wie vor keinen akuten Reformbedarf. Aber die Vorschläge der Familienrichter würden geprüft, heißt es aus seinem Büro. Und für die zweite Hälfte der Legislaturperiode - also frühestens in zwei bis drei Jahren - gebe es Überlegungen, etwas beim Unterhalt zu unternehmen. Zahlreiche Familienrechtsexperten unterstützen jedenfalls den Reformvorstoß der Familienrichterinnen.