Ein Jahr danach: Gedenken an Gezi-Park-Opfer

Genau ein Jahr ist es her, dass die Proteste im Gezi-Park in Istanbul begonnen haben; Proteste, die wochenlang gedauert haben und die die Regierung Erdogan mit Gewalt niedergedrückt hat. Für heute haben Regierungsgegner wieder zu Demonstrationen aufgerufen. Erdogan und seine Leute geben die schon bekannte Antwort: Tausende Polizisten sollen es erst gar nicht soweit kommen lassen, dass jemand seine Stimme gegen die Regierung erhebt.

Mittagsjournal, 31.5.2014

Aus Istanbul

Gedenken an die Opfer

25.000 Polizisten hat die türkische Regierung eingesetzt, um Demonstrationen auf dem Taksim-Platz zu verhindern. Und so wie es aussieht, werden nur kleinere Gruppen von Erdogan-Gegnern auf die Straße gehen, um sich am heutigen Tag mit der Polizei anzulegen. Dabei hat Regierungschef Erdogan gestern mit einer weiteren Brandrede den Konflikt mit seinen Gegnern noch einmal neu angeheizt. Die Gezi-Leute, das seien Menschen, die keine eigenen Gedanken und keine eigenen Meinung hätten, rief Erdogan vor Jugendlichen bei einer Preisverleihung für einen Schreibwettbewerb. "Die Gezi-Leute haben noch nie einen Baum gepflanzt. Aber eine solche Jugend werdet ihr nicht werden. Ihr werdet mit eurer Feder sprechen."

Die Protestplattform, die sich vor einem Jahr im Gezi-Park gebildet hat, ruft für heute zum Gedenken an die Opfer der Polizeigewalt auf. Vor einem Jahr hatte die Istanbuler Polizei die Zelte der Parkbesetzer gestürmt. Das war der Auftakt zu einer Protestwelle gegen die Regierung. Seither werden auch kleinere Missfallenskundgebungen in Istanbul und in anderen Städten regelmäßig mit Wasserwerfern und Tränengas niedergeschlagen.

Medien sprechen von internationaler Verschwörung

Sechs junge Menschen wurden vor einem Jahr durch Polizeikugeln und Tränengaspatronen getötet. Ein 15-Jähriger starb im vergangenen März nach 9 Monaten im Koma. Zu seinem Begräbnis sind etwa eineinhalb Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Und doch ist es der Protestbewegung nicht gelungen, breitere Schichten der Bevölkerung anzusprechen und Anhänger des Regierungschefs auf ihre Seite zu ziehen. Viele übernehmen die in den Medien verbreitete Version, dass hinter den Gezi-Protesten eine internationale Verschwörung gestanden habe.

Mit diesem Argument hat Erdogans AKP auch die Lokalwahlen im Frühling gewonnen. Und alles spricht dafür, dass Erdogan auch die Präsidentenwahlen im August für sich entscheiden kann, falls er tatsächlich antritt. Zur Zeit ist es Istanbul noch ruhig. In den Straßen der Innenstadt stehen Polizeibusse und Wasserwerfer bereit. Doch noch ist der Taksim-Platz nicht abgesperrt. Erst bei Einbruch der Dunkelheit wird mit Demonstrationen gerechnet.