Gewalt gegen Gezi-Park-Demonstranten
In der Türkei setzt die AKP-Regierung ihre Verhaftungswelle gegen aktive Mitglieder der Gezi-Bewegung fort. Besonders betroffen sind dabei Frauen, die oft Opfer sexueller Übergriffe von Seiten der Polizei werden.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 18.7.2013
Sexuell bedrängt
Frauen haben in der Protest-Bewegung gegen die Regierung Erdogan eine wichtige Rolle gespielt. Umso härter trifft sie jetzt der Rachefeldzug der Polizei. Bei Razzien und Verhaftungen in Istanbul und anderen Städten der Türkei werden Journalistinnen und Studentinnen regelmäßig sexuell belästigt – oft unter Mitwirkung von diensteifrigen Polizistinnen.
Doch immer mehr Opfer von Polizei-Übergriffen wagen sich an die Öffentlichkeit. So haben zwei türkische Journalistinnen geschildert, wie sie sich bei einer Hausdurchsuchung in ihrer Redaktion ausziehen und begrabschen lassen mussten. Als sie gegenüber der anwesenden Polizeibeamtin protestierten und auf ihre Rechte als Journalistinnen verwiesen, bekamen sie die Antwort: ‚Ihr seid Wölfe in Journalisten-Verkleidung!‘
Vor wenigen Tagen war die Mitarbeiterin eines holländischen Korrespondenten-Kollegen aus der Haft entlassen worden. Auch sie berichtet, wie sie von Polizisten mit obszönen Sprüchen und Drohungen gedemütigt wurde.
Wirtschaft in Schieflage
Während auf riesigen Plakaten die Friedenszeit des Ramazan gepriesen wird, und im staatlichen Fernsehen endlose Gebetsrituale ablaufen, darf die türkische Polizei den Stress der letzten Wochen an den Bürgern abreagieren. Redaktionen, Wohnungen und Studentenheime werden durchkämmt. Die Vorwürfe gegen Aktivisten der Gezi-Bewegung sind ziemlich diffus: Sie reichen von Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung über Vandalismus bis zur Aufwiegelung der Bevölkerung gegen den Staat.
Doch damit scheint der Rachedurst der AKP-Regierung nicht gestillt. Erdogan lässt auch sämtliche Devisen- und Börsen-Geschäfte der letzten Wochen genau untersuchen, um festzustellen, wer von den Unruhen profitiert haben könnte. Dort nämlich vermutet der Ministerpräsident die Urheber der Gezi-Proteste.
Noch vor einer Woche hatten regierungsfreundliche Journalisten von Arbeitsgruppen berichtet, in denen selbstkritisch über die tieferen gesellschaftlichen Ursachen des Gezi-Konflikts und über eventuelle Fehler der AKP gesprochen werde.
Doch das dürfte sich erledigt haben. Erdogan und seine Vertrauten verhalten sich so, als würden sie die von ihnen in die Welt gesetzten Verschwörungstheorien selber glauben. Der Putsch in Ägypten dient der türkischen Regierung als Rechtfertigung: Denn so lange der Westen den Sturz eines gewählten Präsidenten dulde, solange dürfe der Westen auch von anderen Ländern nicht demokratische Standards einfordern, so die Logik.
Möglicherweise soll all das aber auch von einem anderen, viel schwerer wiegenden Problem ablenken: Das Wirtschaftswachstum der Türkei wird in den nächsten Monaten schwächer ausfallen als angenommen, sagt der stellvertretende Ministerpräsident Babacan. Das liegt zwar vor allem an der anhaltenden Krise in Europa und an den hohen Zinsen in den USA. Aber bis vor kurzem hatte Erdogan seinen Wählern erklärt, die Türkei sei vom Schwächeln des Westens nicht betroffen und bis 2023 unaufhaltsam auf dem Weg zur Großmacht.