Guillaume Nicloux zu "Michel Houellebecq"
"Die Entführung des Michel Houellebecq" heißt ein Film, der derzeit im Wiener Stadtkino läuft. Inspiriert wurde Regisseur Guillaume Nicloux von einer Begebenheit anno 2011. Houellebecq sollte auf einer Lesereise sein neues Buch "Karte und Gebiet" bewerben, und verschwand eines Tages spurlos. Bis heute ist nicht geklärt, wo er damals war.
8. April 2017, 21:58
Der französische Literaturstar wird in diesem Film das Opfer dreier skurriler Entführer, freundliche Männer deren Muskelpakete weniger durchtrainierte graue Gehirnzellen ersetzen sollen. Sie bringen ihn in ein Häuschen an einem Schrottplatz am Land bringen. Dort wird Houellebecq höflich behandelt, raucht viel und trinkt ausgiebig Rotwein, man genießt die Küche der Mutter eines der Entführer, diskutiert über Dinge des Lebens, Politik und Literatur, ab und zu bekommt der Literat Besuch von einer Prostituierten.
Kulturjournal, 02.06.2014
Christian Fillitz: Guillaume Nicloux, Michel Houellebecq ist nicht - wie geplant - zur Wien-Premiere Ihres Films erschienen, er ist in Paris verschwunden. Das klingt ja wie ein Promotion-Gag?
Guillaume Nicloux: Ja, sehr spontan, denn nichts war vorgesehen. Wir hatten einiges mit ihm hier organisiert, und ich bin der Erste, der überrascht und enttäuscht ist, dass, das schiefgegangen ist. Aber es stimmt: Das entspricht eigentlich so ziemlich dem Film. Und als ich aus dem Flugzeug ausstieg und ihn nicht sah, war meine erste Reaktion, dass er entführt worden war, noch dazu in einem Flugzeug. Das ist ja wirklich außergewöhnlich!
Guilaume Nicloux, Ihr Film trägt ja ein bisschen zur Legende des Michel Houellebecq bei, nicht?
Was mich motiviert und interessiert hat, war nicht die öffentliche Person Michel Houellebecq, sondern Michel Thomas, wie er bürgerlich heißt. Wir hatten uns bei einem meiner letzten Filme getroffen, "Die Affäre Gordji", ein Film über eine politische Affäre, wo er einen Geheimdienstchef spielte. Und da hatte ich die Idee zu einem Film, in dem Michel der zentrale Punkt wäre, um den sich alles dreht, und in diesem Film würde ich die Techniken der Fiktion verwenden, um besser an das Dokumentarische heranzukommen. Ich wollte in einem Film erzählen, wie ich ihn erlebte, wenn ich mit ihm Zeit verbrachte, mit ihm essen ging. Diese Persönlichkeit wollte ich zeigen, die nichts mit dem Bild zu tun hat, das man von ihm hat, also eines Zynikers, eines Provokateurs, eines Islamhassers oder Homophoben, was eben die Medien gerne kolportieren. Ich wollte dieses Bild mit dem einer sensiblen, berührenden, oft melancholischen Persönlichkeit bereichern, die oft sehr witzig ist, mit viel Empathie und Feingefühl. Ich wollte also diese Palette bereichern, ohne die andere zu neutralisieren, aber auch zeigen, dass die viel breiter ist, als man glauben mag.
Haben Sie den Film eigentlich geschrieben? Wenn man ihn sieht, so wirkt alles sehr spontan, und es sieht aus, als hätten Sie die Kamera einfach laufen lassen.
Das war das Problem dieses Projekts: es gab einerseits sehr genaue Vorgaben im Drehbuch mit dem Willen, gewisse Themen präzise auszusuchen und zu behandeln, und andrerseits meine Eingriffe während der Dreharbeiten wegzuradieren, mit dem Prinzip, nur eine Aufnahme zu machen und nichts zu wiederholen von dem, was gesagt oder gemacht wurde. Wir haben vier Kameras verwendet, um diese Momente der Wahrheit festzuhalten, um möglichst spontan zu sein, um einen Film zu realisieren, der sich manchmal auf das Terrain des Dokumentarfilmes begibt, indem er sich der Mittel der Fiktion bedient.
Die Stimmung am Set scheint eher lustig gewesen zu sein?
Sie war so, wie man es im Film sieht: echte Beziehungen, gesund, direkt, manchmal gespannt, manchmal mit Gegensätzen, aber lebendig, ohne Spiel. Auch wenn das paradox klingt: ohne Spiel, weil wir in etwas sehr Konkretem waren, und weil jede Figur sich selbst spielt. Es ist ja sehr schwer, eine Figur zu spielen, wenn verlangt wird, dass man sich selbst spielt, und Sie sehr vertraut mit den anderen sind. Nie wird versucht, zu tricksen, denn es gibt da ein Vertrauensverhältnis. Und erst zum Schluss gibt es eine Bewertung, da sieht man dann, was hängen geblieben ist. Und ich sehe, dann, ob dieses Vertrauen mir nicht als Bumerang zurückkommt. Das ist eigentlich der Moment der Wahrheit.
Es gibt da von Houellebecq einige Bemerkungen - wenn er von Le Corbusier spricht, oder von Europa, von Schweden oder der Demokratie -, da findet man wieder diesen beißenden, ja provokanten Ton, den man von ihm kennt. Ist das während des Drehs entstanden oder haben Sie da Anweisungen gegeben?
All diese Themen waren vorgesehen, wir wollten sie einbauen, nicht weil wir provozieren wollten, denn wenn man diese Statements isoliert betrachtet, dann könnten sie auch Sie oder ich gesagt haben. Wenn man sie aber innerhalb einer Dauer von eineinhalb Stunden komprimiert wiedergibt, dann bekommen sie diesen teuflischen, unpassenden Beigeschmack. Man kann mit Michel nicht einer Meinung sein, aber er ist jemand, der über vieles nachgedacht hat, und der eine Meinung hat, die nicht unbedingt endgültig ist, die er aber furchtlos mitteilt. Und vor allem: Die anderen haben auch keine Angst, ihm zu wiedersprechen, und so den Raum für eine Diskussion und einen Austausch zu schaffen.
Wie hat Michel Houellebecq reagiert, als er den fertigen Film gesehen hat?
Wie ein Uppercut, wie eine Ohrfeige. Er hat einige Zeit gebraucht, um zu realisieren, dass er da im Bild war. Ich glaube, dass er den Film erst verdauen musste und sehen, wie die Leute auf ihn reagiert haben. Es ist schwer, sich selbst in einem Film einzuschätzen. Schließlich war er sehr zufrieden und stolz - und das ist das Wichtigste!