Ein amerikanischer Soldat im Zweiten Weltkrieg
Der Befreier
Bei der Biografie von Felix Sparks, der 1935 18-jährig in Glendale/Arizona die Highschool abschließt, hält sich Alex Kershaw nicht lange auf. Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit - der Traum des Felix Sparks vom Jus-Studium endet bei einem Anwerber für die Army.
8. April 2017, 21:58
Nach der Grundausbildung auf Hawai im Jänner 1941 wird Sparks zur sogenannten "Thunderbird", der 45. Infanteriedivision, einberufen und steigt rasch zum Adjutanten des Stützpunktkommandanten auf. Im Juni 1943 schreibt Sparks seinen Eltern, sie mögen sich um seine schwangere Frau Mary und das Kind kümmern, sollte er aus Europa nicht zurückkommen.
Große Geschichte in kleiner Geschichte
Die Überfahrt dauert drei Wochen - vor Sizilien ist eine Armada von 2.000 amerikanischen und britischen Schiffen versammelt. Der 69-jährige Winston Churchill sinniert voller Unruhe in der Nacht des 9. Juli 1943 auf seinem englischen Landsitz Chequers über die waghalsige Unternehmung: "So viele tapfere junge Männer werden heute Nacht den Tod finden. Es ist eine schwere Verantwortung."
Memoiren, Kriegsgeschichten, Oral-history-Aufzeichnungen und Interviews sind Alex Kershaws Quellen für seine fast 500-seitige "Geschichte eines amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg". Die große Geschichte in der "kleinen" Geschichte des Offiziers Felix Sparks darzustellen, gelingt ihm nur mit wechselvollem Geschick.
Lächerliche "Krauts", heldenhafte "GIs"
Beim ersten Landemanöver auf Sizilien ertrinken wegen des hohen Wellengangs sogleich 27 Mann aus Sparks' Kompanie - ohne falsches Pathos vermerkt Kershaw sarkastisch: "Die Stunde X war gekommen. Die Befreiung Europas hatte begonnen."
Sparks' erste Aufgabe im Feld ist ein Bestattungskommando. Kershaw beschreibt die Rangeleien und Animositäten zwischen dem amerikanischen und britischen Kommandanten bei ihrem Wettlauf nach Messina; es folgen viele Zahlen, strategische Fehler, Absurditäten und Tode. Beim Bemühen, den Vormarsch auf dem italienischen Festland packend zu erzählen, verwandelt sich "Der Befreier" bisweilen in einen Kriegsfilm aus den 1950er Jahren: Die "Krauts" sind lächerliche Nazis, die "GIs" aufopferungsvoll heldenhaft. Landser-Romantik mit umgekehrtem Vorzeichen.
Ein harmloses Beispiel für Kershaws stimmungsvolle Stilübungen: "Das Mündungsfeuer deutscher Gewehre warf einen geisterhaften Schatten über die zerbombte Erde." Man erfährt viel über Phosphorbomben, Kameradschaft und Kameraderie, über Pflichtbewusstsein, über die Ängste der Soldaten und deren "Verbiesterung" - kurz: über den normalen Wahnsinn des Krieges. In Neapel sind 15 Prozent der Lazarette mit geschlechtskranken GIs belegt - einer feixt: "Wir hatten mehr Ausfälle durch Gonorrhoe als durch Feindberührung."
Der Mann mit dem Colt
Beim großen Landungsunternehmen in Anzio verzeichnen die US-Truppen an einem einzigen Tag einen Ausfall von 1.000 Mann - Tote und Verwundete. Es ist die höchste amerikanische Verlustzahl im gesamten Zweiten Weltkrieg. Nach der Schlacht um Monte Cassino wird Felix Sparks' Einheit im August 1944 an die Côte d'Azur verlegt, der "Champagnerfeldzug" durch Burgund, Richtung Vogesen beginnt. Sparks lässt sich am Griff seines 45er-Colts ein Foto von Frau und Kind sowie sein "Lieblings-Pin-up" anbringen.
Wer sich für gut geschriebene und sachliche Kriegsgeschichte aus diesem Raum und um den D-Day interessiert, sei auf die Bücher von Norman Lewis oder Antony Beevor verwiesen - für die Mühen der Lektüre von Alex Kershaw wird nur entlohnt, wer bis zu den letzten 100 Seiten durchhält. Seine Beschreibung der Ardennenoffensive, englisch "Battle oft the Bulge" genannt, ist großartig. Hitlers letztem Aufbäumen gegen die alliierte Invqasion steht eine Übermacht aus 800.000 US-Soldaten gegenüber. Alex Kershaw gelingt es, sehr nahe zu zoomen: Sein Protagonist Sparks gerät in einem Waldstück bei Reipertswiller, als er mutig einigen seiner verwundeten Männer zu Hilfe kommt, ins Sperrfeuer der SS und wird nicht erschossen.
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Zwischen den SS-Leuten, die Sparks beobachteten, herrschte in der Tat ein stillschweigendes Übereinkommen: ihn zu töten, wäre falsch gewesen.
Befreiung von Mauthausen
Bei seiner Recherche hatte Kershaw einen SS-Soldaten der gegnerischen Seite ausfindig gemacht. Diese Szene und die eigentliche Hauptepisode des Buches, die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945, geraten dem Autor zu regelrechten Lehrstücken über Krieg und Moral. Felix Sparks, ganz darauf erpicht, Hitler eigenhändig die Gurgel durchzuschneiden, verfällt angesichts der Leichenberge in Dachau in Fassungslosigkeit und verliert dennoch seine Fassung nicht ganz.
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Was war das für ein Ort? Was war in Dachau geschehen? Wie konnten menschliche Wesen derart Böses tun?
Unglaube und Schock kehrten sich in Wut.
"Wir machen hier keine Gefangenen", sagte jemand.
"Wir bringen jeden einzelnen dieser Bastarde um."
"Kein SS-Mann fällt uns lebend in die Hände."
Tatsächlich kommt es an diesem Tag - unmittelbar neben der überschwänglichen Freude der Häftlinge von Dachau über ihre Befreiung - zu einem Gemetzel. Elf SS-Soldaten werden von den Amerikanern erschossen, 75 schwer verletzt, nachdem sie sich ergeben hatten. Die Anklage "Kriegsverbrechen" wird in der Folge niedergeschlagen. Eine Fotoserie, die Felix Sparks mit erhobenem 45er-Colt zeigt, in jenem Moment, als er die Raserei der Gis beendet, stand am, Anfang des Buches.
Was Alex Kershaws "Der Befreier" betrifft, so wäre weniger vermutlich mehr gewesen.
Service
Alex Kershaw, "Der Befreier. Die Geschichte eines amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg", aus dem Englischen übersetzt von Birgit Brandau, Deutscher Taschenbuch Verlag