Dokumentarfilm "Mittsommernachtstango"
Der Tango und seine Heimat Argentinien sind, so scheint es, untrennbar miteinander verbunden. Dabei gibt es ein Land im hohen Norden, das eine ganz eigenständige Tango-Tradition hervorgebracht hat und das ist Finnland. Der deutsche Dokumentarfilm "Mittsommernachtstango" greift jetzt dieses Konkurrenzverhältnis ironisch auf.
8. April 2017, 21:58
In "Mitternachtstango" ist ein argentinisches Tango-Trio auf einer skurrilen Reise durch Finnland. Entstanden ist so ein musikalisches Road-Movie der besonderen Art.
Kulturjournal, 11.06.2014
Finnland, wir kommen, ruft der argentinische Tango-Gitarrist Diego Kvitko und dann bricht er auf gemeinsam mit seinen Freunden, dem Bandoneon-Spieler Pablo Greco und dem Sänger Chino Laborde. Grund für die Reise war die provokante Ansage des finnischen Kultregisseurs Aki Kaurismäki, der behauptet hat, der Tango sei in Finnland entstanden. Schäfer hätten ihn gesungen, um Wölfe von ihren Herden fernzuhalten und weil sie einsam waren. Erst später sei der Tango dann, so erzählt Kaurismäki im Film weiter, durch finnische Matrosen nach Argentinien gebracht worden. Mit einem klapprigen roten Lada fahren die drei Argentinier durchs Land, um sich ein Bild vom finnischen Tango zu machen. Sie besuchen Tango-Bars am Polarkreis und tauschen sich mit finnischen Tango-Musikern aus.
Ein gutes Händchen hat Regisseurin Viviane Blumenschein bei der Auswahl ihrer Protagonisten gehabt, denn hier treffen allesamt Vollblutmusiker mit einem Hang zum skurrilen Humor aufeinander. Die Tango-Koryphäe M. A. Numminen etwa trägt zu ihren Auftritten ein Hasenkostüm und erzählt über die besondere Erotik des Finn-Tango. "Egal, ob ich mein Haus verliere oder ob man mir mein Mädchen ausspannt, die Welt besteht aus purer Seide", singt M. A Numminen und man merkt es schon, wie sich in den Texten des Finn-Tango schwarzer Humor und ein fatalistischer Stoizismus treffen, eine Mischung, die man auch aus den Filmen Aki Kaurismäkis kennt.
Der argentinische Tango steht da unter ganz anderen Vorzeichen, erzählt Gitarrist Diego Kvitko, denn in ihm würden sich auch alle Gräueltaten widerspiegeln, die in Argentinien im 20. Jahrhundert begangen wurden. Eine Schule des Lebens sei der Tango deshalb und seine Mutter zweifelsohne Buenos Aires. Buenos Aires sei wie eine schwarzhaarige Frau, die gerne eine Blondine wäre, so Kvitko weiter. Nur ist sie eben kein Mensch, fügt er später noch hinzu, sondern eine dreckige Stadt, in der es schöne Musik gibt.
Viviane Blumenschein hat da wie dort gedreht und macht sehr schön den Gegensatz sichtbar zwischen der menschenleeren Weite des Nordens und der pulsierenden Metropole Buenos Aires. Auf einem abgelegenen Bauernhof in der Einöde treffen die drei Argentinier auf die Sängerin Sanna Pietäinen, die hier mit ihrer Familie lebt. Sie serviert ihren Gästen nicht nur schwere lokale Spezialitäten, sondern weist Sänger Chino Laborde auch in die Geheimnisse des Finn-Tango ein.
Eine der schönsten Begegnungen in ihrem musikalischen Road-Movie "Mittsommernachtstango" hat sich Regisseurin Blumenschein stimmigerweise für den Schluss aufgehoben. Da besucht das argentinische Trio nämlich Reijo Taipale, der bis heute als die Ikone des finnischen Tango gilt. Der Lebenslauf des heute 74-Jährigen scheint einem Kaurismäki-Film entnommen, denn er arbeitete als LKW-Fahrer, bevor er ganz zufällig als Sänger entdeckt wurde. Seinen Durchbruch hatte er 1962, als er den berühmtesten Finnischen Tango überhaupt sang: Satumaa, übersetzt "Märchenland". "Ich bin ein Gefangener der Erde und nur in Gedanken kann ich ins Märchenland gelangen, in dem man keine Sorgen kennt", singt Reijo Taipale in seinem großen Hit und man ist glücklich, dass man ein wenig Zeit verbringen kann mit Menschen, die so eine Musik machen.