Friedrich Sellows Tagebücher

Die Erkundung Brasiliens

Brasilien zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach beinah 100 Jahren der Isolation öffnet die damalige portugiesische Kolonie ihre Häfen – und wird zum Eldorado für Naturforscher. Einer der ersten war Friedrich Sellow, ein preußischer Gärtner, dessen Sammlung noch heute Bedeutung hat.

Es ist ein für Europäer noch unbekanntes Land, das Friedrich Sellow vor 200 Jahren erkundete. Akribisch hielt der junge Preuße fest, was ihm auf seinen Reisen begegnete. Er sammelte Pflanzen, zeichnete Missionsanlagen, notierte die Sprache indigener Völker, die längst ausgestorben sind, beschrieb jedes Detail einer heute versunkenen Welt, hielt es fest in jenen Tagebüchern, die jetzt vom Wissenschaftshistoriker Carsten Eckert entziffert wurden. Es seien insgesamt 71 kleine Oktavheftchen, 27 Exkursionsberichte, und ergäben ausgezählt 4.600 Seiten, erzählt Eckert.

Nur ganz selten verraten die Tagebücher etwas über die Persönlichkeit seines Autors Sellow. Dem Lebensweg des Entdeckungsreisenden spürt jetzt das Buch "Die Erkundung Brasiliens" nach: es ist die Geschichte eines Self-made-Man, eines Gärtner-Gehilfen aus Potsdam, dessen Naturbegeisterung ihn bis in die höchsten Gelehrten-Kreise brachte, erzählt Co-Autorin Sabine Hackethal. Alexander von Humboldt, der zu jener Zeit schon halb Lateinamerika erforscht hatte, wurde zu Sellows Mentor, verschaffte ihm eine Anstellung in Paris, damals das geistige Zentrum Europas. Die Empfehlung des Universalgenies Humboldt half dem jungen Sellow auch später in London weiter und brachte ihm den Auftrag, für die preußische Regierung nach Brasilien zu reisen.

Sammler für alles

Die Vermählung von Erzherzogin Leopoldine, Tochter des österreichischen Kaisers Franz I., mit dem portugiesischen Thronfolger im Jahr 1817 war Anlass einer österreichischen Brasilien-Expedition unter der wissenschaftlichen Leitung des Wiener Naturforschers Johann Natterer. Friedrich Sellow landete schon drei Jahre vor der österreichischen Expedition in Brasilien. Das geliehene Geld für die Überfuhr zahlte er in Naturalien zurück an Preußen. Später belieferte er Museen und Universitäten in ganz Europa. Auf Vermittlung Alexander von Humboldts erhielt Friedrich Sellow bald eine jährliche Rente vom preußischen Staat, die ihn aber nicht von der ständigen Geldnot befreite. Seine Expeditionen waren schließlich teure Unterfangen. Sellow brauchte Material zum Aufbewahren und zum Bearbeiten der Präparate, Nahrungsmittel, Führer, Soldaten, Landeskundige, so Hackethal.

Friedrich Sellow sammelte buchstäblich alles, was er in dieser geheimnisvollen neuen Welt finden konnte. Über 12.500 Exemplare aus Flora und Fauna schickte er - präpariert und in Kisten verpackt - zurück nach Europa. Einen Teil davon plante er, selbst wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Tagebücher sollten ihm als Gedächtnisstütze dienen. Aber dazu ist es nie gekommen - in Brasilien war er Dr. Frederico, in Berlin nur der Gärtnerssohn. 1831 war das, 17 Jahre nach Sellows Ankunft in Brasilien. Der preußische Gärtnerssohn fühlte sich wohl betrogen um seinen wissenschaftlichen Ruhm, meint Carsten Eckert. Mit 42 Jahren starb der Naturforscher unter mysteriösen Umständen.

Der vergessene Naturforscher

Mit seinem Tod geriet Friedrich Sellow in Vergessenheit. Nur ein einziges Bild des Forschers ist geblieben, eine Bleistiftzeichnung. Es zeigt ihn - auf dem Rücken eines Pferdes sitzend - an der Spitze einer seiner Expeditionen. Seine Erkundungen von Brasilien aber, die beschäftigten noch Generationen von Wissenschaftlern. In der Tradition von Humboldt sei Sellow "einer der letzten Universalisten", gewesen, so Eckert.

Mit "Die Erkundung Brasiliens" wollen die Herausgeber dem vergessenen Naturforscher ein Denkmal setzten. 13 Autorinnen und Autoren haben daran mitgeschrieben. Ein Genuss ist die Ausstattung des großformatigen Werkes: Zu sehen sind nicht nur Aquarelle und Lithografien aus der Zeit, sondern auch Zeichnungen Sellows und viele seiner Tagebuch-Skizzen. Ein Buch, das allen Sinnen gerecht wird!

Service

Hanns Zischler, Sabine Hackethal, Carsten Eckert (Hrsg.), "Die Erkundung Brasiliens", Galiani Verlag

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