Streitfall Klimawandel
Nichts scheint auf den ersten Blick so eindeutig zu sein wie der Klimawandel. Wenn alle über das Wetter reden, reden die meisten immer auch über den Klimawandel. Die warmen Winter, die heißen Sommer, der ausbleibende Regen, die schmelzenden Gletscher, Veränderungen in Flora und Fauna: gerne werden Zeichen gedeutet und zukünftige Szenarien entwickelt. Von Bürgern, Medien, Wissenschaftlern und Politikern.
8. April 2017, 21:58
Womit wir schon bei der zentralen Frage wären, um welche Mike Hulmes Buch kreist: Alle sprechen vom Klimawandel, doch die Bewertung dieses zweifellos realen und keineswegs konstruierten oder eingebildeten Phänomens ist vollkommen uneinheitlich. Denn Klimawandel bedeutet nicht einfach eins und eins zusammenzuzählen. Selbst langjährige statistische Aufzeichnungen reichen nicht aus, um die Veränderungen des Klimas objektiv zu bewerten.
Mike Hulmes These lautet: Es lässt sich überhaupt nichts Objektives über den Klimawandel sagen, denn ausgerechnet bei dieser scheinbaren Tatsache zeigen sich die Grenzen der Wissenschaft. Hulme macht das Dilemma anhand zweier Studien deutlich: Im Jahr 2007 kam der Biologe Dennis Avery in seiner Untersuchung "Unstoppable Global Warming" zu der Erkenntnis, dass die Klimaerwärmung ein natürlicher Vorgang und damit gar nicht aufzuhalten sei. In bestimmten Zyklen käme es zu Erwärmung und Abkühlung. Im selben Jahr erschien ein Bericht des Weltklimarates, in dem es hieß, der Anstieg der mittleren globalen Temperatur sei vom Menschen verursacht und könne durch entsprechende Strategien abgebremst werden.
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Unmöglich können beide Behauptungen zugleich wahr sein. Der Grund für die beobachtete Erderwärmung kann nicht hauptsächlich in zyklischen Schwankungen der Sonnenenergie liegen und zugleich größtenteils mit den steigenden Treibhausgaskonzentrationen verbunden sein. Beide Behauptungen können zwar falsch, aber nicht beide zugleich richtig sein.
Mehr Wirtschafts- als Klimadebatte
Das sind nur zwei von vielen Beispielen, wie in der Wissenschaft Ursachen und Folgen vollkommen widersprüchlich aufeinander bezogen werden. Wir kennen das aus der medialen Vermittlung. Einmal ist von der Verwüstung des Planeten die Rede, dann wieder von Verschiebungen, an die sich die Menschen leicht anpassen würden. Einmal ist der Planet durch ein riesiges Ozonloch in der Atmosphäre akut gefährdet, dann wieder hat dasselbe Loch keinen wesentlichen Einfluss auf unsere Existenz. Die Klimadebatten sind für Mike Hulme so uneinheitlich, weil es ideologische Debatten sind.
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Wenn ein unberührtes Klima, ein reines und natürliches Klima wertzuschätzen ist, dann kommt der Aufrechterhaltung seiner Stabilität eine wesentliche, ja sogar hochheilige Bedeutung zu. Klima wird demnach mit der Ideologie von Stabilität und Ordnung in der Natur gleichgesetzt. Im Gegensatz dazu existieren die Vorstellungen von Veränderung und Chaos.
Abgesehen davon, dass es keine genaue Definition von Klima gibt, ist jeder Diskurs darüber interessengesteuert. Das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun, die gibt es wohl auch, doch die Klimadebatte ist einerseits eine Debatte über die gegenwärtige Form des Wirtschaftens, über Wohlstand, über globale Macht, andererseits eine über Zukunftsängste, Erwartungen, mitunter religiös aufgeladen.
Subjektive Wissenschaftler
Nicht zuletzt spielt der moderne Wissenschaftsbetrieb mit seinen Finanzierungsmodellen eine große Rolle bei der Bewertung von Forschungsergebnissen. Der Weltklimarat selbst geriet 2013 in die Kritik, da seine prognostizierten Folgen der Klimaerwärmung nicht eintraten und der von ihm ausgeübte Druck auf die Regierungen, teure Maßnahmen für die Energiewende einzuleiten, als weitgehend unsinnig dargestellt wurden.
Wer auf die Forschungen Einfluss nimmt, welche Erkenntnisse publiziert werden und welche nicht, wer von den Berichten profitiert und wer nicht - das ist schwer auszumachen. Deshalb handelt Mike Hulmes Buch zwar auch, aber nicht hauptsächlich, vom Klimawandel, sondern davon, wie Wissenschaft funktioniert, wie sie kommuniziert wird und wie Objektivität suggeriert wird, wo keine ist.
Identität und Bestimmung
Dass sich das Klima verändert, steht außer Zweifel. Wie rasch es sich verändert und was diese Veränderungen zur Folge haben, ist nicht mit einem Modell zu erklären und nicht mit einer Maßnahme zu beeinflussen. Die Quellen, warum wir über den Klimawandel uneins sind, meint Mike Hulme,...
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... liegen tief in uns, in unseren Werten und in unserem Gefühl von Identität und Bestimmung. Sie befinden sich nicht dort draußen, als Ergebnis unserer Unfähigkeit, eine letztendlich physische Realität zu begreifen. Und erinnern wir uns daran, dass dieser Dissens uns bestenfalls stets dazu führen sollte, mehr über uns selbst zu lernen - unser Lamento über die Vergangenheit, unsere Zukunftsangst, unseren Wunsch nach Herrschaft und unseren Sinn für Gerechtigkeit.
Service
Mike Hulme, "Streitfall Klimawandel", aus dem Englischen übersetzt von Jörg Matschullat und Stephanie Hänsel, oekom Verlag
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