Überraschende Forschungsergebnisse
Sparprogramme töten
Im Grunde ist mit dem Titel dieses Buches bereits alles gesagt und der Standpunkt der Autoren dargelegt: dass Sparprogramme schlecht für die Gesellschaft sind, diesem tausendmal gehörten linken Narrativ folgt das Buch vom Anfang bis zum Ende.
8. April 2017, 21:58
Was es dann doch über das bekannte Lamento von der Gefährlichkeit jeglichen Sparbestrebens abhebt ist, dass die Autoren mitunter Ergebnisse liefern, die sie selbst überraschen.
Ursprünglich waren Stuckler und Basu davon ausgegangen, dass es während der Großen Depression in den USA zu einer erheblichen Zunahme der Sterblichkeitsrate gekommen sein müsse. Als sie sich aber die Daten aus den 1930er Jahren ansahen, waren sie perplex: "1931 war eines der gesündesten Jahre in der Geschichte unseres Landes", hieß es in einer Statistik des Public Health Service.
Rückgang der Verkehrstoten
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Nach mehreren Jahren großer wirtschaftlicher Belastung hat die Gesamttodesrate den niedrigsten Wert erreicht, der je ermittelt wurde. Die Kinder- und Tuberkulosesterblichkeit hat im gesamten Land nicht zugenommen, sondern ist sogar weiter zurückgegangen.
Wie konnte das passieren? Einerseits stieg die Selbstmordrate nach dem Börsencrash von 1929 stark an. Banker sprangen aus dem Fenster, ein Bauarbeiter, der an der Errichtung des Empire State Building beteiligt war, stürzte sich bei der Nachricht seiner Entlassung von eben jenem.
Dafür aber sank die Zahl der Verkehrstoten signifikant. In den 1920er Jahren starben in den USA mehr Menschen durch Verkehrsunfälle als durch Typhus, Masern, Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten, Hirnhautentzündung und Kindbettfieber zusammengenommen. Und nun, da durch den massiven wirtschaftlichen Einbruch sich die Menschen das Benzin nicht mehr leisten konnten – von neuen Autos ganz zu schweigen – sank auch die Zahl der Toten.
Den gleichen Trend kann man auch bei der aktuellen Krise erkennen. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien nahm die Zahl der Selbstmorde zu – dafür gab es weniger Verkehrstote.
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Nordirland meldete bei den Verkehrstoten den niedrigsten Wert aller Zeiten. In London löste dieser Rückgang 2008 paradoxerweise Beschwerden über den Mangel an Organen für Transplantationen aus, denn die wichtigste Quelle von Spenderorganen - Verkehrstote - war versiegt.
Verbesserung mit "New Deal"
Warum es während und nach der Großen Depression in den USA weniger Tote gab, als die Autoren geglaubt haben, hat noch weitere Gründe. Einerseits herrschte in den USA bis 1933 die Prohibition – das allgemeine Alkoholverbot wirkte sich positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung aus. Andererseits gab es enorme medizinische Fortschritte. Den wirklichen Durchbruch aber sehen die Autoren im "New Deal". Durch diese Wirtschafts- und Sozialreformen, die von 1933 bis 1938 von Franklin Delano Roosevelt als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise durchgesetzt wurden, konnte der Gesundheitszustand der Bevölkerung maßgeblich verbessert werden, so Stuckler und Basu.
Um ihre These, dass Sparprogramme töten, zu verifizieren, haben sich die beiden Wissenschaftler mehrere Krisen angesehen. Zu der ihrer Meinung nach erschreckendsten kam es nach dem Zusammenbruch des Kommunismus' in Russland: "Anfang der 1990er Jahre sind zehn Millionen russische Männer spurlos verschwunden", schreiben sie. Zu dieser Zeit schrumpfte das russische Bruttoinlandsprodukt um mehr als ein Drittel - eine wirtschaftliche Katastrophe, wie man sie seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre nicht mehr gesehen hatte. Wo kurz vorher noch Vollbeschäftigung herrschte, stieg die Arbeitslosigkeit auf über 20 Prozent an. Und auch die Sterblichkeit nahm rasant zu.
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Ungewöhnlich war, dass sich unter den Toten so viele junge Männer im arbeitsfähigen Alter befanden. Von Epidemien sind in der Regel anfällige Personen betroffen, wie Kleinkinder oder alte Menschen. Hier jedoch stieg die Sterblichkeit ausgerechnet in der Gruppe der Männer im besten Alter, zwischen 25 und 39, um beunruhigende 90 Prozent an.
Was darüber hinaus verblüffte: Viele der jungen Männer starben an Herzinfarkt. Grund dafür war der überhand nehmende Alkoholkonsum. Aber gefährlicher noch als die Menge, war das, was getrunken wurde. Weil die Männer kaum mehr Geld hatten, begannen sie auf Industriealkohol basierende Produkte, sogenannte Odekolons zu konsumieren. Der nicht zum Genuss geeignete Alkohol erhöhte das Risiko, an Leberzirrhose oder einem Herzinfarkt zu sterben, um das 26-fache.
Bewältigung der Krisen
Nicht die Wirtschaftskrise selbst ist Grund dafür, warum mehr Menschen sterben, sondern die Art und Weise, wie der Staat versucht, die Krise zu meistern, schreiben Stuckler und Basu. Sie illustrieren das anhand zweier aktueller Beispiele: In Island beschloss die Regierung nach dem Zusammenbruch von 2008, für die Schulden ihrer Banken nicht geradezustehen. Die Bevölkerung litt deshalb unter den Maßnahmen weitaus weniger als die Griechen.
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Keine Frage: Die Griechen sind nicht nur Opfer von Fehlern, die andere gemacht haben. Viele haben über ihre Verhältnisse gelebt, Steuern hinterzogen und ihre Bilanzen gefälscht. Doch erst das Krisenmanagement der griechischen Regierung hat dafür gesorgt, dass aus einer schlechten wirtschaftlichen Lage ein Gesundheitsdesaster wurde. Während es den Isländern gesundheitlich ähnlich gut geht, wie den Amerikanern zu Zeiten des New Deal, gleicht der Gesundheitszustand der Griechen zunehmend eher dem der Russen nach der Schocktherapie und der Massenprivatisierung.
Service
David Stuckler, Sanjay Basu, "Sparprogramme töten", Deutsch von Richard Barth, Klaus Wagenbach Verlag