Streitbarer DDR-Autor Franz Fühmann

Am 8. Juli vor 30 Jahren starb mit Franz Fühmann einer der streitbarsten DDR-Autoren. Kaum ein deutscher Autor hat sich derart radikal mit seiner Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt. Kaum ein DDR-Geborener, der nicht mit einem Fühmann-Märchen aufgewachsen ist.

Fühmann, als junger Kriegsgefangener im sibirischen Gulag vom Sozialismus "überzeugt" in die Heimat zurückgekehrt, fällt dort schon bald vom "neuen Glauben" ab. 1965 wendet sich der Heinrich-Mann-Preisträger gegen den kulturpolitischen Kahlschlag durch die Kommunisten. Sein Briefwechsel mit Christa Wolf, erschienen im Band "Monsieur - wir finden uns wieder" ist ein erschütterndes Dokument seiner wachsenden Verzweiflung am sozialistischen Experiment.

Er zieht sich in die Provinz zurück, empfängt und fördert von dort aus junge kritische Dichter wie Uwe Kolbe, Gert Neumann, Wolfgang Hilbig. Als erster DDR-Autor beginnt er, mit Behinderten zu arbeiten und träumt von einer "therapeutischen Literatur". Von der DDR totgeschwiegen, verbat er DDR-Offiziellen die Teilnahme an seinem Begräbnis. In seinen Grabstein lässt er folgenden Satz meißeln: "Ich grüße alle jungen Kollegen, die als obersten Wert ihres Schreibens die Wahrheit erwählt haben."

Im kleinen Örtchen Märkisch Buchholz versucht nun eine Begegnungsstätte das Erbe von Franz Fühmann zu sichern, aufzubereiten und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Moos am Randstein

(c) ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Kulturjournal, 08.07.2014

Trockenes Moos, Kiefernzapfen knirschen unter den Schuhen. Mitten im märkischen Wald, mehr als 60 Kilometer vom Berliner Zentrum entfernt, fällt der Blick auf eine grün gestrichene Blechgarage.

"Das ist ein Arbeitsplatz. Gleich hinter der Tür stand dann so ein Campingtisch. Da saß er dann und hat gearbeitet", sagt Norbert Kapinos. "Es ist wirklich abgeschieden - eine Schreibeinsamkeit"

Norbert Kapinos ist Vorsitzender eines Vereins, der sich bemüht, das heute weithin vergessene Leben und Werk eines der schillerndsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts dem allmählichen Vergessen zu entreißen: Franz Fühmann. 1958 hatte sich der 1922 im böhmischen Riesengebirge geborene Apothekersohn und spätere Schüler im Jesuitenkonvikt in Kalksburg bei Wien in diese Abgeschiedenheit zurückgezogen, um sich mit dem Drama der eigenen Existenz auseinanderzusetzen.

"Sein Schreiben ist wie so ein Schieferbrechen, wie im Bergwerk, wo immer wieder Schicht auf Schicht auf Schicht gefördert wurde", meint Kapinos.

Verfasser zauberhafter Märchen

"Karg und klar ist die Zeit / Ehern waltet die Not / Zucht und Demut vollenden das Leid", heißt es in einem Gedicht des jungen Fühmann, der mitten im Untergang des Dritten Reichs noch an den Endsieg glaubt. Mit den Verbrechen Hitlers konfrontiert, kehrt der Jungdichter aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft als glühender Stalinanhänger in die neugegründete DDR zurück und wird als Verfasser zauberhafter Märchen und Kinderbücher schnell bekannt.

1961 begrüßt Fühmann den Bau der Berliner Mauer. Doch als Marcel Reich-Ranicki 1963 Fühmanns Werk in seinem Klassiker "Deutsche Literatur in Ost und West" auf mehreren Seiten interpretiert, hat Fühmanns Bruch mit dem DDR-Regime längst begonnen. Als 1968 Panzer durch Prag rollen, wird er bereits von der Staatssicherheit überwacht. Jahre innerer Emigration und schwerster Krisen folgen.

"Er kann sich nicht verbiegen"

Von all dem bekamen die Bürger des am Waldrand gelegenen Städtchens Märkisch Buchholz kaum etwas mit, erzählt die heute 73-jährige Karin Kiwitt: "Er war eine Person, der durch seine Bescheidenheit beindruckt hat. 'Das Hölzerne Pferd' hat er meinem Sohn geschenkt, weil er ihm immer das Fahrrad repariert hat. Der hat überhaupt keinen Wert auf Komfort gelegt, das Fahrrad war ne alte Rostlaube, das war ihm alles gar nicht wichtig."

Doch nicht nur Karin Kiwitt spürte, wie sehr dieser freundliche Mann litt, wie endlos tief das Loch war, in das er nach der sogenannten Biermann-Affäre gefallen war. Fühmann hatte als einer der ersten DDR-Kulturschaffenden die Petition gegen die Ausbürgerung des oppositionellen Liedermachers unterschrieben.

"Da hat er sich sehr positioniert", sagt Kiwitt. "Er hat gesagt, da muss man durch. Er kann sich nicht verbiegen. Das ist seine Überzeugung."

Gelebte Integration

In seiner grünen Garage im Wald fördert der brillante Stilistiker derweil wie ein Besessener Schicht für Schicht sein eigenes Ich zutage, empfing und unterstützte er junge Autoren. 1973 fand er mit dem Buch "Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens" endlich eine ganz eigene hybride literarische Form, changierend zwischen Erzählung, Essay und Aphorismus. Als erster und einziger DDR-Autor beginnt er, mit Behinderten zu arbeiten.

"Fühmann hat im Prinzip diese Schlagworte Inklusion und Integration - nein, nicht benutzt, aber gelebt", sagt Norbert Kapinos.

1982 erregt er noch einmal Aufsehen. Im Westen erscheint sein Buch "Der Sturz des Engels". Dieser großartige Essay über den österreichischen Dichter Georg Trakl muss zugleich als Fühmanns komplexe Auseinandersetzung mit Fühmanns eigenem Leben gelesen werden. 1984 fährt Karin Kiwitts Mann den schwer erkrankten Fühmann ins Hospital. Kurz darauf stirbt er.