Der Weg zum Hörspiel
Making of
Die Hörspielproduktion "Die Blendung" wurde in Berlin und in Wien, im Studio RP4 des Wiener ORF-Funkhauses, produziert. In Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk dramatisierte der ORF Elias Canettis monumentalen einzigen Roman.
27. April 2017, 15:40
Erzählt wird darin die Geschichte Peter Kiens, eines Sinologen, der das Wien der 1920er Jahre als einen Hort der Roh- und Falschheit erlebt, dem er nichts anderes als bücherverliebten Autismus entgegenzusetzen weiß. Aus Frustration über die Gemeinheit seiner Zeitgenossen im Allgemeinen und die seiner früheren Haushälterin und nunmehrigen Ehefrau Therese Krumbholz im Besonderen, steigert er sich in einen (durchaus scharfsinnigen) Wahnzustand, der in seiner Selbstverbrennung inmitten seiner Privatbibliothek gipfelt.
"Das Bemerkenswerte an der 'Blendung' ist: Es ist ja im Grunde ein unglaublich unsympathisches Buch", sagt Peter Klein, Hörspiel-, Literatur- und Featurechef des ORF. "Es gibt ja keine einzige sympathische Figur. Normalerweise halten Schriftsteller eine gewisse Balance zwischen den Unsympathlern und den sympathischen Figuren, sodass man sich als Leser identifizieren kann. Das ist bei Canetti nicht der Fall, es sind alle unsympathisch und alle münden irgendwie im Grauen."
"Hochglanzproduktion" in zwölf Teilen
Nach der Vertonung von Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" im Jahr 1974 sei "Die Blendung", so Peter Klein, die zweitgrößte Wortproduktion, die in der Geschichte des Hauses jemals stattgefunden habe: "Das ist zuerst einmal ein großer logistischer Aufwand", man müsse rund 30 Schauspieler und Schauspielerinnen einteilen und koordinieren. "Es bedeutet gleichzeitig, dass während dieser fast zweieinhalb Monate keine andere Produktion möglich ist", das habe "gewaltigen Einfluss" auf die gesamte Hörspielproduktion.
"Ideell bedeutet es eine ganze Menge", so Klein weiter. "Wir halten es für notwendig, ab und zu wirklich Groß- und Hochglanzproduktionen zu machen. Wir wissen, dass unser Publikum das sehr gerne hat und natürlich erregt man damit mehr Aufmerksamkeit als wenn man ein Brötchen nach dem anderen bäckt."
Zwölf Teile zu je einer Stunde umfasst die Hörspielfassung von Canettis Werk, die jetzt im Sommer 2014 ausgestrahlt wird. Um Canettis umfangreichem Figurenarsenal gerecht zu werden, wurden in gut zwei Monaten Sprecheraufnahmen mit Schauspieler/innen wie Manfred Zapatka, Samuel Finzi, Birgit Minichmayr, Karl Markovics und Gerald Votawa gemacht
Klaus Buhlert
Der Bearbeiter Buhlert musste sich vom Regisseur Buhlert und auch vom Komponisten Buhlert distanzieren.

Klaus Buhlert
(c) ORF
Klaus Buhlert
Es geht ums Schachspiel: Figuren treten auf, um zu schlagen oder geschlagen zu werden. Canetti wollte spielen!
Regisseur Klaus Buhlert produziert "Kopfkino"
Was "Die Blendung" besonders hörspieltauglich mache, sei nicht nur ihre stark von Dialogen und inneren Monologen geprägte Struktur, sondern auch die Tatsache, dass Canetti für jede seine Figuren einen eigenen Sprachduktus erfunden habe, meint Peter Klein:
"Elias Canetti war ja noch relativ jung, als er 'Die Blendung' geschrieben hat, er war 25 und hat sich sehr viel in Bars, Cafés etc. herumgetrieben; er hat seine Ohren gleichsam als Mikrophone benutzt und verschiedene Sprachstile und Typen registriert und notiert."
Hausmeistern, Straßenverkäufern, Dienstmädchen, Kellnern und halbseidenen Stadtbewohnern verpasste Elias Canetti, ausgehend von seinen sprachlichen Feldforschungen, das, was er als "akustische Masken" bezeichnete. In ihrem Sprechen sollten sie unverwechselbar und "so sehr Gestalt geworden sein wie in ihrer Physiognomie" - eine Herausforderung, der Regisseur Klaus Buhlert im Medium Radio gerecht zu werden versucht, "dass man Bilder assoziiert, dass man aus Haltungen von Figuren, aus rhythmischen Änderungen Kopfkino entwickelt", sagt Buhlert. "Canetti fängt also an, akustisch zu leben und zu atmen, kann also sinnlich beim Hörvorgang nachempfunden werden."
Klaus Buhlert
Canetti und Wien - Canetti und Berlin
Canetti, der "Tierstimmenimitator"
Die "Kopfräume des Sino- und Japanologen Peter Kien" als Klangwelten ins Hörspiel zu transportieren und Canettis Text dort, wo er grotesk und irrational wird, nach dem Prinzip des japanischen Kabuki-Theaters zu verfremden - so könnte man Klaus Buhlerts musikalisches Konzept für die Hörspielfassung der "Blendung" beschreiben. Ihre ureigenste Stimme haben in Buhlerts Interpretation nicht nur die handelnden Figuren, sondern auch scheinbar unbelebte Objekte, wie etwa Peter Kiens kolossaler Schreibtisch mit seinen schrill quietschenden Laden.
Kommunikation findet in der "Blendung" nicht statt. Reduziert auf ein sich stets selbst reproduzierendes Minimalvokabular, drehen sich die Romanfiguren im Kreis, köcheln im Saft ihrer triebhaften, engen Wirklichkeit. Ihre Worte, schrieb Canetti selbst, sind "wie Stöße, die an den Worten ihres Gegenübers abprallen", "fremd und rätselhaft wie Tierstimmen".
"Das heißt, die Kommunikation negiert er und sagt, wir verstehen uns nicht wirklich, sondern reden aufeinander ein um uns noch unverständlicher zu machen", so Buhlert. "Diese Welt ist in der Tierwelt natürlich stark ausgeprägt. Der Schrei einer Hyäne ist für eine Zebraherde sicher unverständlich, hat aber emotional und dramatisch eine große Wirkung, und das versucht Canetti in seinem dramatischen Zugang zu imitieren - deshalb haben ihm Kritiker auch vorgeworfen: Sie sind ja ein Tierstimmenimitator."
Klaus Buhlert
Wer nicht gefressen werden will, muss selber zubeißen.