Ist Putin die Kontrolle entglitten?

Wenn wirklich stimmt, dass pro-russische Separatisten eine Passagiermaschine abgeschossen haben, dann ist das nicht nur eine neue Stufe in diesem Konflikt, sondern vor allem für den russischen Präsidenten Vladimir Putin sehr unangenehm.

Mittagsjournal, 18.7.2014

Erinnerungen an 1983

Noch sind die Hintergründe des verheerenden Flugzeugabsturzes in der Ostukraine unklar, doch eines ist offensichtlich: Russland steht schon jetzt am Pranger. Seit Ausbruch des bewaffneten Widerstands gegen die Regierung in Kiew hat Russland die Separatisten in der Ostukraine unterstützt. Zwar nie hoch offiziell, aber immer moralisch und politisch und verdeckt auch mit Kriegsmaterial und militärisch ausgebildeten Kämpfern. Daher muss sich Russland jetzt auf eine internationale Welle der Entrüstung einstellen, sagt der Militärexperte Alexander Golts: "Machen wir uns nichts vor, wenn sich herausstellt, dass die Separatisten hinter der Tat stecken, wird sich der Zorn der ganzen Weltgemeinschaft über Russland ergießen, denn es ist für niemanden ein Geheimnis, dass Russland diese Leute unterstützt." Golts erinnert an das Jahr 1983, als die Sowjetunion eine südkoreanische Passagiermaschine abschoss. Die weltweite Empörung sei so groß gewesen, dass russische Bürger auf internationalen Flughäfen beschimpft worden seien.

Russland in der Defensive

Auch heute gewinnt man den Eindruck, dass Russland in der Defensive ist. Präsident Putin schreibt nicht den konkreten Abschuss der malaysischen Maschine, aber die politische Verantwortung dafür der Kiewer Regierung zu. Auch er scheint es zumindest für möglich zu halten, dass die Separatisten hinter dem Abschuss stehen. Die konkrete Schuldfrage nicht einmal ansprechen will gar Leonid Kalaschnikow vom außenpolitischen Ausschuss des Parlaments: "Es geht nicht so sehr darum, wer schuld ist", meint Kalaschnikow im Interview mit dem russischen Fernsehsender Doschd. "Wichtig ist vielmehr, dass nun allen klar ist, die Ukraine ist für die zivile Luftfahrt nicht sicher." Womit auch Kalaschnikow die Verantwortung für die Katastrophe der Kiewer Regierung zuschiebt.

Putin wird handeln müssen

Russland hat sich durch die Unterstützung der Separatisten in eine ungemütliche Lage gebracht, zumindest solange deren Unschuld nicht bewiesen ist. Mit der offen verbalen und verborgen logistischen Hilfe für die Rebellen wollte Putin seinen Einfluss in der Ukraine, die sich der EU annähert, nicht verlieren. Und seine Position im Inland und die Position Russlands in der Welt stärken. Jetzt aber muss Putin für einen Konflikt gerade stehen, der offensichtlich außer Kontrolle geraten ist, meint der politische Kommentator des liberalen Radiosenders Kommersant, Konstantin Eggert: "Irgendjemand Unbekannter und wahrscheinlich auch Unkontrollierbarer hat auf den Startknopf der Rakete gedrückt. Leider ist das Gesetz der Unvorhersehbarkeit das einzige, das auf den Trümmern der Sowjetunion gilt."

Noch ist unklar, ob tatsächlich die prorussischen Separatisten hinter dem Absturz der malaysischen Maschine stehen. Wenn ja, wird sie Putin sofort und öffentlich fallen lassen müssen, um den endgültigen Bruch Russlands mit der internationalen Gemeinschaft zu verhindern.