Filmemacher Harun Farocki gestorben

"Harun Farocki ist der unbekannteste weltbekannte deutsche Filmemacher", schrieb die "taz" zum 70. Geburtstag des Filmemachers und Künstlers Anfang des Jahres. In seinem mehr als 40 Jahre umspannenden Werk schuf Farocki vor allem dokumentarische Film- und Video-Essays, er lehrte an der Bildenden in Wien und schrieb Drehbücher mit Christian Petzold. Am Mittwoch starb Farocki im Alter von 70 Jahren.

Harun Farocki

(c) APA/GALERIE THADDAEUS ROPAC/HERTHA HURNAUS

Kulturjournal, 31.07.2014

Farocki wurde während des Zweiten Weltkriegs am 9. Jänner 1944 im damals sudetendeutschen Neutitschein (heute Novy Jicin, Tschechien) als Sohn eines indischen Arztes geboren, der in den 1920er Jahren nach Deutschland eingewandert war. 1958 ließ sich die Familie in Hamburg nieder. Von 1966 bis 1968 studierte Farocki an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB) in Westberlin. Von 1974 bis 1984 war er Autor und Redakteur der Münchner Zeitschrift "Filmkritik", von 1993 bis 1999 Gastprofessor an der University of California in Berkeley.

Bereits ab Studienbeginn begann er, Dokumentar- und Essayfilme über das Leben in der Bundesrepublik Deutschland, über Krieg und Revolution und über Bilder, die davon in den Medien erschienen, zu produzieren. Mehr als 100 Produktionen entstanden seitdem für Fernsehen und Kino, darunter zunächst Agitationsfilme wie "Nicht löschbares Feuer" (1969) gegen den Vietnamkrieg, große Essayfilme wie "Leben - BRD" (1990), Filmerzählungen ("Zwischen zwei Kriegen", 1978), Porträtfilme ("Georg K. Glaser", 1988) und Arbeiten im Stil des Direct Cinema ("Die Schöpfer der Einkaufswelten", 2001). Parallel gestaltete er Überlegungen zur Filmgeschichte wie "Arbeiter verlassen die Fabrik" (1995), das ein berühmtes Dokument der Gebrüder Lumière von 1895 zum Ausgang hatte.

Drehbücher für Christian Petzold

Farockis Karriere ist auch eng mit jener des deutschen Regisseurs Christian Petzold verwoben. Mit und für ihn schrieb Farocki zahlreiche Drehbücher, darunter "Die innere Sicherheit" (2000) und "Gespenster" (2005). "Alle unsere Geschichten sind im Dialog entstanden", erzählte Petzold einmal dem "Monopol"-Magazin. "Das ist das Schönste, wenn man eine Idee hat und man geht spazieren, trifft sich in der Küche, trinkt Kaffee und raucht, jeder kramt Bücher hervor und erinnert sich an irgendwelche Dinge. Wir sind Goldgräber, wir spinnen zusammen ein Garn. Ich könnte nie alleine schreiben." Die letzte Zusammenarbeit der beiden, "Phoenix", dreht sich um eine Auschwitz-Überlebende in der unmittelbaren deutschen Nachkriegszeit (gespielt von Nina Hoss) und soll im September in die deutschen Kinos kommen.

Seit den 1990er Jahren war Farocki auch mit dokumentarischen Videoinstallationen in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Museen und Galerien zu Gast. Mit seiner Medieninstallation "Deep Play", einer Anatomie des Fußball-WM-Finales von 2006 auf zwölf Monitoren, war er Teil der documenta 2007. Zuletzt war Farockis vierteilige, in einem Trainingscenter für die US-Army gedrehten Werkreihe "Ernste Spiele" im Hamburger Bahnhof zu sehen. Es sei wichtig, so Farocki zum Magazin "Monopol", "dass es so viele bewegte Bilder in der Kunstwelt gibt. So kommt es zu neuen Sichtweisen, Kunstgeschichtler etwa haben in den letzten Jahren angefangen, über Filme zu schreiben."

"Deutscher Jean-Luc Godard"

Nicht nur Farockis Bestrebungen im Kunstbetrieb führten ihn nach Österreich, wo er ab 2004 Gastprofessor und von 2006 bis 2011 ordentlicher Professor an der Akademie der bildenden Künste Wien war. Auch die Viennale lud den Filmemacher mehrfach ein, zeigte zuletzt etwa die österreichische Koproduktion "Zum Vergleich" (2009), für die Farocki den ARTE-Dokumentarpreis erhielt. Das Österreichische Filmmuseum bezeichnete ihn gar als "deutschsprachiges Pendant zu Jean-Luc Godard" und widmete ihm im Jahr 2006 eine umfassende Retrospektive.

"Vorhandene Kanäle zu nutzen, überraschende Vernetzungen einzugehen, elegant zwischen Kino, Fernsehen, Kunst und Wissenschaft zu pendeln", schrieb das Filmmuseum damals, "all dies sind Elemente einer praktischen Filmpolitik inmitten des großen Medienverbunds". Wie Godard vertraue Farocki in seinen Arbeiten nicht allein einer "Reflexion der Wirklichkeit", sondern gehe stets auf die Suche nach der "Wirklichkeit dieser Reflexion".

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