Streitschrift über Kybernetik und Kontrollgesellschaft

Ab morgen werde ich Idiot

Wir sollen und wollen uns selbst optimieren, durch Transparenz und Feedback. Hans-Christian Dany empfiehlt in seinem Essay "Ab morgen werde ich Idiot" die Verweigerung der verordneten Kommunikation.

Auf kluge Weise dumm werden

Die kontrollierte Rückkoppelung gehört im modernen Unternehmen oder in der Therapie zum Standardrepertoire. Die Feedback-Runde soll die Kommunikationsabläufe verbessern. Das Feedback ist auch der Ausdruck, durch den eine neue Wissenschaft Mitte des 20. Jahrhunderts Eingang in die Umgangssprache fand: die Kybernetik. Der Künstler und Autor Hans Christian Dany schreibt in seinem Essay "Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft":

Die Kybernetik handelt von der Steuerung komplexer Systeme. Sie errechnet Prognosen für die Zukunft - zum Beispiel, in ihrer Urszene im zweiten Weltkrieg, über die künftige Flugbahn eines abzuschießenden Flugzeugs. Heute sind kybernetische Modelle überall am Werk, nur heißen sie nicht mehr so, weil die Kybernetik aus der Mode gekommen ist. Man findet ihre Logik im selbstregulierenden Thermostat oder in den Wetten der Börsen auf zukünftige Finanzwerte. Dany zitiert ein Experiment, das man heute als bedrohliche Metapher für die Unfreiheit von Schwarmintelligenzen deuten könnte:

Eine erzwungene Anpassung

Die dunkle Pointe in Danys Rekonstruktion der Kontrollfantasien ist der Umschlag einer wissenschaftlichen Methode in eine Politik der Unfreiheit. Auch der einzelne Mensch schrumpft in der Sozialtechnik zu einer mathematischen Größe, die gesteuert wird wie der Wasserfloh mit den Eisenspänen im Körper. Das kybernetische System erzwingt Anpassung. Wer modern ist, versucht sich für ein System zu optimieren, als wäre er selbst eine Maschine: in der gemanagten Arbeit, in der Freizeit, die mehr und mehr Arbeit an sich selbst wird und in der Gruppendynamik der sozialen Netzwerken.

Neue Energie dank Störung

Es wäre aber ein Missverständnis, meint Dany, diese Form der Kontrolle rein technisch über das Internet zu erklären. Zwar sehen heute Geheimdienste und große Unternehmen jedem am Computer über die Schulter und verwerten Informationen, die wir mit jeder Anfrage an eine Suchmaschine selbst liefern. Aber: "Dass du am allerbesten funktionierst, wenn der Wärter, wie Foucault das formuliert hat, dich gar nicht beobachtet, sondern du nur mit dem Phantasma des Wärters lebst, beziehungsweise dessen, der auch deine E-Mail liest, das wird ja auch zur Seite geschoben."

Dany benutzt natürlich auch selbst Computer und Mobiltelefon. Und er leugnet nicht, in Widersprüchen verstrickt zu sein. Schließlich geht es ihm nicht um das Rechthaben, sondern um eine Möglichkeit, auf das übliche Versanden von Gesellschaftskritik zu reagieren: "Das ist natürlich genau eine Reaktion darauf, wie zum Beispiel die Occupy-Bewegung als Störung aufgetreten ist - einerseits entlädt sich das Unbehagen und anderseits löst es sich auf, zerbröselt sich, fügt aber auch dem anderen einen Impuls zu."

Der Autor vermeidet Begriffe wie Widerstand oder Verweigerung und sucht auch formal nach einer Sprache, die ihm gehört und nicht schon selbst weder als konstruktive Kritik verwertet werden kann: "Das Management muss die Störung suchen und muss sie auch stark machen, damit sich die Regelkreisläufe in ihrer geschlossenen Form nicht erschöpfen, sondern durch die Störung neue Informationen und neue Energie zugefügt bekommen."

Danys Buch empfiehlt im Titel, ab morgen Idiot zu werden. Idiot zu sein bedeutet hier, auf kluge Weise dumm zu werden, also nicht mehr mit jenen politischen und ökonomischen Kräften zu kommunizieren, die diese Kommunikation am Ende ohnehin für ihre Zwecke benutzen. Zudem ist Danys Plädoyer "Teil einer idiotischen Asozialität zu werden" auch als eine Absage an den Glauben an eine funktionierende Öffentlichkeit zu verstehen.

Service

Hans Christian Dany, "Ab morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft", Edition Nautilus