Alexandra Mantler über Sahar Lebow

Vor wenigen Tagen hat Sahar Geburtstag gehabt. Ich weiß nicht einmal genau den wievielten, nur, dass sie circa in meinem Alter ist: Anfang 40. An ihrem Geburtstag war sie auf der Flucht, wie schon die Wochen davor, wie auch jetzt gerade.

Ich habe Sahar vor etwas mehr als einem Jahr in Mosul während einer Dienstreise in den Irak kennengelernt. Ich habe sie damals interviewt, sehe noch recht genau vor mir, wie wir in ihrem Wohnzimmer gesessen sind in dem kleinen Haus in Mosul, das sie gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnt hat.

Sahar ist chaldäische Christin und hat damals an der Universität in Mosul Pharmazie unterrichtet. Sie selbst hatte im englischen Bristol studiert. Ihre Freunde in England hätten ihr geraten, sie solle doch versuchen, ob sie nicht in Europa bleiben kann, hat Sahar damals erzählt. Aber sie wollte unbedingt zurück nach Mosul. Sie selbst nennt es immer Ninive, ist unheimlich stolz auf die weit zurück reichende christliche Tradition ihrer Heimat. Auch wenn das Leben als Christin hier nicht einfach sei: man lebe ständig mit der Gefahr von Bombenanschlägen, immer wieder gebe es Zeiten, wo sie nur verschleiert auf die Straße dürfe, manchmal würden sie es wegen der Straßensperren nicht einmal schaffen am Sonntag in die Kirche zu kommen. Dabei sei ihr das doch so wichtig.

Und es sei unglaublich schwer, Freunde zu finden, weil man nie wisse, wem man wirklich vertrauen kann. Nach dem Interview haben wir noch unsere Facebook-Adressen ausgetauscht, weil wir in Kontakt bleiben wollten. Tatsächlich hatte ich auch gleich nach meiner Rückkehr nach Österreich eine Frage an sie: Ob sie mittlerweile Näheres wisse über die Autobombe, die uns damals, als wir in Mosul waren, früh morgens aus dem Schlaf gerissen hatte. Sie versorgt mich mit den nötigen Infos und wir bleiben auch weiterhin in Kontakt, schicken einander Grüße zu Ostern und zu Weihnachten und zum Geburtstag.

Seit die IS Mosul erobert hatte, habe ich nichts mehr von ihr gehört, keine Postings, keine Nachrichten, kein Lebenszeichen. Keine Antwort auf meine Frage, ob sie und ihre Familie okay seien. Vor ein paar Tagen habe ich ihr dann wieder Geburtstagswünsche auf ihre Facebook-Seite gepostet und am Mittwoch plötzlich von ihr eine Antwort bekommen. Wir haben dann hin und her geschrieben: Sie sei im Juni mit ihrer Familie von Mosul nach Karakosh geflüchtet. Ob ich es kenne? Ja, dort sei ich vor einem Jahr auch gewesen, schreibe ich zurück. Karakosh ist eine christlich dominierte Stadt im Nordirak - etwa 32 Kilometer südöstlich von Mosul. In der Nähe befinden sich die historischen Assyrer-Stätten Nimrud und Niniveh.

Etwa 96 Prozent der 50 000 Einwohnerinnen und Einwohner gehören der syrisch-katholischen Kirche an. Hierher hatten sich die meisten der aus Mosul vertriebenen Christen geflüchtet. Sahar schickt mir per Mail ein Interview, das sie einer englischen Zeitung gegeben hat. In einem hoffnungslos überbelegten Klassenraum seien sie gerade untergebracht. "Wir haben kein Wasser, keine Elektrizität, keine Medizin, Typhus ist ausgebrochen", erzählt sie darin. Und sie hätten wahnsinnige Angst. Und weiter: "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so leben müsste - ohne jedes Menschenrecht. Ich möchte nur noch weg aus dem Irak."

Ob sie telefonisch erreichbar sei, frage ich Sahar und ob sie mir vielleicht ein Interview geben würde oder ob sie das zu sehr in Gefahr bringen würde? Sie ist bereit zu einem Interview, es gäbe da noch eine Handy-Nummer, unter der sie erreichbar sei, auch wenn die Telefonverbindungen oft schlecht seien oder gar nicht zustande kommen. Ich versuche sie anzurufen, doch es kommt nur die Durchsage der irakischen Telefongesellschaft, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Ich versuche es immer wieder, manchmal bekomme ich sogar ein Freizeichen, aber niemand hebt ab.

Am nächsten Morgen lese ich: Kurdische Truppen hätten sich in der Nacht aus dem nördlichen Karakosh und umliegenden Gegenden zurückgezogen und die Gebiete stünden nun unter der Kontrolle der militanten Kämpfer der Gruppe Islamischer Staat. Viele der Bewohner seien auf der Flucht. Wahrscheinlich auch Sahar. Ich lese nochmals ihre letzten Nachrichten, die sie mir am Tag davor geschrieben hat: "We really need people pray for us, may God hear them" - "Wir brauchen Menschen, die für uns beten. Möge Gott sie erhören."