Stuart Christies Autobiografie

Meine Oma, General Franco und ich

Geboren am 10. Juli 1946, gilt Stuart Christie als der wohl bekannteste Anarchist Großbritanniens. Wesentlich zu seiner Gesinnung beigetragen hat nach seinen Aussagen die Großmutter. War sie es doch, die den Enkel erzog, weil sich die Eltern trennten, als er noch ein Kind war.

Schon bald engagierte sich Christie politisch gegen die britischen Atombomben. Die Bombe war, so Christie, das Symbol für alles, was schief lief in der Gesellschaft. Mit 16 Jahren wurde Christie Mitglied einer anarchistischen Bewegung in Glasgow und im Alter von 18 Jahren und sechs Wochen stand er vor einem Kriegsgericht in Madrid. Wie es dazu kam, davon handelt der Großteil des Buches – und es ist der mit Abstand interessanteste Teil dieses Textes. Denn wie Christie sich nach Spanien aufmacht, was er dort erlebt und wie er verhaftet wird, das ist nicht nur informativ, sonder auch äußerst amüsant geschrieben.

Terrorist in spe

Zuerst fährt Christie nach Paris, um sich von befreundeten Anarchisten Sprengstoff zu besorgen. Den soll er nach Madrid bringen und einem Kontaktmann übergeben. An irgendeinem Tag zwischen dem 11. und 14. August zwischen sieben und acht Uhr abends soll er den Mann gegenüber dem Luftfahrtministerium treffen. Dieser würde auf Spanisch fragen, wie es ihm gehe und er würde antworten: "Mir tut die Hand weh". Mit dem Zug fährt er also nach Perpignan, wo der Terrorist in spe sich den Plastiksprengstoff mit Klebeband an Brust und Bauch befestigt.

Über die Grenze geht es per Autostopp und der Geschäftsmann, der Stuart Christie nach Barcelona mitnimmt, tut das nicht ganz selbstlos, denn der Motor seines Autos stirbt immer wieder ab und er benötigt jemanden, der sein Gefährt anschiebt. Da sehen wir also den jungen Anarchisten, wie er im dicken Pulli im spanischen Hochsommer ein Auto schiebt – der Schweiß löst das Klebeband vom Körper und er versucht hektisch, den Sprengstoff nicht zu verlieren – stehen doch an allen Ecken und Enden Polizisten.

Ein Attentat als Schmierenkomödie

Als er endlich in Madrid ankommt, wird das ganze Attentat endgültig zur Schmierenkomödie. Vom ersten Moment an wird der Anarchist überwacht und schon nach kürzester Zeit verhaftet. Und auch seinen Kontaktmann kann er nicht schützen. Beide werden angeklagt und - weil Franco sich ein wenig mild zeigen will - nicht zum Tode, sondern nur zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Im Falle von Stuart Christie sind es zwanzig Jahre.

Schon am Tage nach Christies Verhaftung wurden in etlichen Ländern Demonstrationen gegen Franco organisiert und im Laufe der Jahre sprachen sich auch immer wieder Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre oder Bertrand Russell für eine Begnadigung von Christie aus.

Ein durch und durch politischer Mensch

Am 21. September 1967 wurde Christie nach knapp drei Jahren Gefängnis freigelassen. Gerade rechtzeitig, um die Proteste des Jahres 1968 mitzuerleben. Stuart Christie engagierte sich weiterhin – und wurde beschuldigt, in die Bombenanschläge der Londoner Stadtguerilla Angry Brigade von 1970 bis 1972 verwickelt zu sein. Vom Gericht wurde er aber freigesprochen.

"Meine Oma, General Franco und ich" ist die Autobiografie eines durch und durch politischen Menschen. Christie schreibt mit lakonischer Ironie, ohne jemals ins Slapstickhafte abzugleiten. Der Beginn des Buches – wenn er über seine Familie und über Schottland schreibt – ist ein wenig langatmig und die Abhandlung linker politischer Bewegungen in Schottland der 1950er und 60er Jahre wohl nur für Dissertanten zum Thema von Interesse. Aber ab Seite 100, ab dem Moment, wo sich der junge Christie nach Madrid aufmacht, ist das Buch wirklich lesenswert.

Service

Stuart Christie, "Meine Oma, General Franco und ich", deutsch von Gabriele Haefs, Nautilus Verlag