Museum wird durch Höller zur Hotelsuite
Er bringt Jahrmarktstimmung ins Museum und verwandelt Kunsträume in Tiergehege: Der belgisch-deutsche Objektkünstler Carsten Höller gestaltet Kunstwerke, die zum Mitmachen einladen und dem Besucher, der Besucherin ein besonderes Erlebnis bescheren sollen. Aktuell hat Höller seine Zelte im Wiener Augartenatelier der Kunststiftung TBA21 aufgeschlagen und den Ausstellungsraum in eine luxuriöse Hotelsuite verwandelt.
8. April 2017, 21:58
Bis 23. November kann man sich in Höllers Ausstellung über Nacht einmieten und die Schau "Leben" ganz exklusiv - alleine, oder zu zweit - erleben.
2006 installierte er in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern Gallery formschöne Röhrenrutschen aus Edelstahl, die sich wie eine Skulptur durch den 35 Meter hohen Kunstraum schlängelten. Monatelang war das Museum vom Jauchzen und Schreien deren erfüllt, die mit rasantem Tempo durch die Rutschen in die Tiefe rasten. Im Hamburger Bahnhof in Berlin ließ Höller Rentiere weiden und schuf eine Kulisse, die an eine schräge Märchenwelt erinnerte.
Kulturjournal, 01.09.2014
2006 installierte Carsten Höller in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern Gallery formschöne Röhrenrutschen aus Edelstahl, die sich wie eine Skulptur durch den 35 Meter hohen Kunstraum schlängelten. Monatelang war das Museum vom Jauchzen und Schreien deren erfüllt, die mit rasantem Tempo durch die Rutschen in die Tiefe rasten. Im Hamburger Bahnhof in Berlin ließ Höller Rentiere weiden und schuf eine Kulisse, die an eine schräge Märchenwelt erinnerte.
Zwei eineiige Zwillinge führen einen widersprüchlichen Dialog im Dauerloop. Die Videoinstallation "Vienna Twins" ist wie eine Pforte der Wahrnehmung, die in die Welt des Carsten Höller führt. Höllers Ausstellung trägt den schlichten Titel "Leben". Wer hierherkommt, soll Alltägliches neu erleben: Sich zum Beispiel die Zähne mit einer trauminduzierenden Zahncreme putzen, die dabei helfen soll, dass man intensiver träumt und sich vor allem besser an seine Träume erinnert.
Auch das Zubettgehen wird in Höllers Ausstellung zum besonderen Erlebnis. Bereits 2010, im Hamburger Bahnhof in Berlin, hat Carsten Höller sein Aufzugbett (elevator bed) aufgestellt. Bereits damals funktionierte er den Ausstellungsraum zum Hotelzimmer um und machte den Besucher, die Besucherin zum integralen Teil der Ausstellung.
Die Formel des Lebens
3,5 Meter schnellt Höllers elevator bed, dessen Design an den Weltraumchic der 1960er Jahre erinnert, in die Höhe. Kurz vor dem Einschlafen soll sich der Besucher, die Besucherin in andere Sphären hineinschrauben. Und wer noch nicht zu Bett gehen will, der kann im Garten nach überdimensionierten Pilzen suchen. Das lässt an eine psychedelische Wunderwelt denken, die in andere Bewusstseinszustände führt. Doch von der Bewusstseinserweiterung der New Age-Ära will Höller nichts wissen.
Auch optisch ist Höllers künstlerische Versuchsanordnung von der kaleidoskopischen Farbenpracht der Hippieära weit entfernt. Die Luxussuite, in die man sich einmieten kann, versprüht eher den sterilen Chic eines Kunstlabors. Schließlich verlagert der habilitierte Agrarwissenschaftler Carsten Höller das wissenschaftliche Experiment in bewährter Avantgardetradition ins Feld der Kunst. So wurde die trauminduzierende Zahnpasta, deren Hauptwirkstoff wie beim Absinth Wermut ist, von Höller eigens für die Ausstellung entwickelt - gemeinsam mit einem Parfümeur. Vielleicht ist Höller auch eine Art moderner Alchemist und seine Kunst - angesiedelt an der Schnittstelle zwischen Forschung und Mythos - der geheimen Formel des Lebens auf der Spur.
Erlebnis oder Spektakel?
Im letzten Raum der Ausstellung steht jenes Element, das - zumindest was den Erlebnischarakter betrifft - am überzeugendsten wirkt: der Psychotank. Der Besucher und die Besucherin werden dazu eingeladen, in einem hoch salzhaltigen Wasserbecken zu treiben, das obendrein mit 35,5 Grad dieselbe Temperatur hat wie der menschliche Körper. Aufgrund des hohen Salzgehaltes treibt man wie im toten Meer auf der Wasseroberfläche und nach einer gewissen Zeit stellt sich tatsächlich ein Gefühl der Schwerelosigkeit ein. "Die Abkoppelung von äußeren Informationen", nennt das der Künstler.
Carsten Höller will aus dem Museum einen Ort des Erlebens machen. Das hat seiner Kunst zuweilen das despektierliche Etikett des Spektakels eingebracht. Tatsächlich bleibt das Erlebnis, eine Nacht alleine im Museum zu verbringen, jenen vorbehalten, die sich den Preis für eine Übernachtung leisten können. Ist das alles also mehr als Mitmachtheater für zahlungskräftige Konsumenten?
Im Hamburger Bahnhof kostete eine Nacht in Höllers elevator bed 1000 Euro. In Wien geht es - vergleichsweise günstig - ab 120 Euro los. Und wer das Gefühl phantastischer Schwerelosigkeit im Psychotank erleben will, dem sei einfach ein Besuch der Ausstellung empfohlen.